Deichkind: Abgedreht mit Smartphone-Smokings

Berlin (dpa) - Nach drei Jahren ist Deichkind zurück. Endlich? Irgendwann müssen sie ja entstehen, die neuen Ideen für neue Platten, sagt MC Philipp Grütering.

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Auf seinem sechsten Album „Niveau Weshalb Warum“ (Sultan Günther Music/Universal Music) präsentiert sich das Kollektiv aus Kryptik Joe, Porky, Ferris Hilton und La Perla erneut aufmüpfig, beatlastig und abgedreht - und offenbart gleichzeitig soziologischen Tiefgang.

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Für Grütering alias MC Kryptik Joe ist Deichkind Konzeptarbeit. „Wir setzen uns immer erst mal zusammen und fragen uns: Was sind unsere Themen, worüber wollen wir eigentlich reden?“ Wieder seien viele Ideen gescheitert - dafür sei es gelungen, stärker auf den Punkt zu bringen, was Deichkind sagen will. „Und was wir brauchen für unser Fortbestehen.“ Die neuen Songs widmen sich der Kommentarkultur im Internet („Like mich am Arsch“), Alltagsparanoia („Mehr als lebensgefährlich“), einer ignoranten, individualisierten Gesellschaft („Hauptsache nichts mit Menschen“) und Zukunftsvisionen („Die Welt ist fertig“).

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Letzterer Song spiegelt laut Grütering eine typische Deichkind-Arbeitsweise wider. „Viele Bilder zu finden zu einem bestimmten Satz oder zu einem bestimmten Titel.“ Das geht dann so: „Alle Straßen sind geteert, Gelsenkirchen liegt am Meer, in Grönland wachsen Palmen, alle Groschen sind gefallen.“ Dass zum Bild einer fertigen Welt auch die „letzte Show“ von Deichkind gehört, dürfte Fans Schrecken einjagen. „Vielleicht ist es so etwas wie eine Prophezeiung“, sagt Grütering. „Wenn die Welt fertig wäre, dann hätten auch wir Feierabend. Wäre traurig.“

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Auch kommen provokante Aussagen auf der Platte nicht zu kurz. So entsteht bei „Like mich am Arsch“ fast der Eindruck, Deichkind verweigere sich sozialen Netzwerken. Dabei sucht die Band auf Twitter, YouTube & Co. Kontakt mit den Fans - und die honorieren einen Post auf Facebook gut und gerne mal tausendfach mit „Gefällt mir“. „Das Feedback kriegst du sofort, das ist super, aber man muss auch lernen, damit umzugehen“, sagt Grütering. Denn auch bei Deichkind gebe es „sensiblere Seelchen“, die sich Kritik aus dem Netz zu Herzen nehmen.

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Kein Wunder: Hinter den Partyhymnen und den nach Trash-Disco klingenden Songs steckt eine Menge Arbeit: „Ich brauche immer ein halbes Jahr oder Jahr zum Experimentieren und zum Forschen, dann hole ich mir neue Drum-Computer oder ziehe mir Tutorials rein.“

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Und dann wird aus einer Schnapsidee auch mal Programm: Bei den fast 20 Konzerten in Deutschland, Österreich und der Schweiz treten die Musiker in Smartphone-Smokings auf. Die Anzüge sind bespickt mit Spezial-Handys, auf die die Fans beim Konzert sogar Fotos schicken könnten. Am 8. April startet die Tour in der EmslandArena in Lingen.

Die Gruppe entwickelt sich nicht nur weiter, sie ist auch autonomer geworden, wie Grütering sagt. Denn die neue Platte erscheint beim bandeigenen Label. Das sei zwar auch ein Risiko, eröffne aber vor allem neue Möglichkeiten. „Als Newcomer wird einfach unglaublich viel Geld an dir vorbei verdient.“

Was Deichkind noch fehlt, ist der Größenwahn. „Es ist eine deutsche Angewohnheit, nicht groß zu denken“, sagt Grütering. Er und seine Bandkollegen seien totale Zweifler. Porky frage sich manchmal, ob überhaupt noch jemand zu Deichkind-Konzerten komme. „Wir kokettieren da auch ein bisschen mit, aber an dem Gefühl, dass das Ganze irgendwann mal vorbei sein könnte, ist schon was dran“, gibt Grütering zu. „Wir könnten uns mal sagen: Ja, wir haben Erfolg, wir sind bekannt, da können wir auch mal selbstbewusster sein.“