Die Toten Hosen sind „in der 80. Minute“
Berlin (dpa) - „Bis zum bitteren Ende“ heißt eines der allerersten Lieder der Toten Hosen. Dieses Jahr feiert die Band, die längst zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Gruppen zählt, ihren 30. Geburtstag.
Jetzt ist mit „Ballast der Republik“ ihr 15. Studio-Album erschienen.
Sänger Campino (49) spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa über den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören, Highlights der letzten drei Jahrzehnte, das Verhältnis zu den Ärzten und erklärt, warum er kein Liebeslied mit Happy End schreiben kann.
Was ist das Geheimnis, dass es die Toten Hosen nach all den Jahren noch immer gibt und dass Ihr noch immer miteinander befreundet seid?
Campino: „Es gibt kein Geheimnis. Wir hatten das Glück, als Jugendfreunde eine Leidenschaft zu teilen. Diese konnten wir soweit betreiben, dass wir 30 Jahre lang schafften, einen ordentlichen Beruf zu vermeiden. Natürlich müssen auch wir fortwährend an unserer Beziehung arbeiten. Aber es ist ein riesiger Glücksfall, dass wir als Freunde so gut funktionieren. Nur deshalb gibt es uns als Band noch - und nicht umgekehrt.“
Ihr kommt ursprünglich aus der Düsseldorfer Punk-Bewegung und zählt seit Jahren zu den erfolgreichsten Bands des Landes, einige von Euch sind Familienväter. Inwieweit seid Ihr noch die Punks von damals?
Campino: „Die Typen von damals? Ich hoffe, überhaupt nicht mehr, das wäre ja fürchterlich. Wenn man in 30 Jahren nichts gelernt hätte oder nicht von der Stelle gekommen wäre, das wäre wirklich arm. Die ganze Welt hat sich verändert und zwar massiv. Nicht nur politisch, auch was das gesellschaftliche Leben betrifft - Stichwort Mobiltelefone und Computer. So ist auch unser Leben ein anderes geworden, Gott sei Dank. Es ist sicher nicht einfacher geworden, all diese Dinge unter einen Hut zu bekommen. Gerade was das Leben neben den Toten Hosen angeht.“
Denkt man nach 30 Jahren auch ans Aufhören?
Campino: „Uns allen ist klar, dass wir in der Endphase unserer Zeit sind. Wenn ich es mit einem Fußballspiel vergleiche, sind wir mittlerweile in der zweiten Hälfte und nicht mehr in der ersten. Wer weiß, ob es noch zur Verlängerung kommt. Und wenn auch da keine Entscheidung fällt, muss man vielleicht noch ein Rückspiel ansetzen. Aber jetzt sind wir in der 80. Minute. Und zehn Minuten bleiben mindestens noch.“
Kannst Du Dir ein Leben ohne die Toten Hosen überhaupt vorstellen?
Campino: „Sehr gut sogar. Aber zu wissen, dass die Toten Hosen nie wieder zusammenspielen würden, würde mir ein mulmiges Gefühl verschaffen. Das ist und war die Sache meines Lebens. Und die möchte ich nicht gerne loswerden. Dennoch kann ich die Frage mit "Ja" beantworten, weil ich oft genug alleine durch die Welt reise und sie mit eigenen Augen sehe.“
Du bist nicht nur Sänger sondern auch Schauspieler und Vater eines Sohnes. Welche dieser Rollen ist für Dich die größte Herausforderung?
Campino: „Das Schwierigste ist in diesem Fall die Schauspielerei, damit hatte ich von Haus aus am wenigsten zu tun. Als Sänger in dieser Band fühle ich mich immer wohl, da habe ich keinerlei Angst auf der Bühne - in der Musik bin ich zu Hause. Im Theater oder beim Film musst Du vorgedachte Sachen erleben oder durchgehen, und ich habe es nie geschafft, mir da so vorzukommen, wie bei mir daheim. In besten Momenten war ich bei guten Freunden zu Gast. Und die Sache mit dem Vater sein - das weiß jeder, der es ist - kommt von selbst. Da muss man nur, wie beim Surfen, die Welle abwarten und reinspringen. Das Wasser macht den Rest.“
An welche Momente und Begegnungen der vergangenen 30 Jahre denkst Du besonders gerne zurück?
Campino: „Das ist schwer zu sagen, da prasselte so viel auf uns ein. Es war schon ein irrer Ritt. Angefangen von den Begegnungen, die wir haben durften, mit dem alten englischen Posträuber Ronald Biggs über Gerhard Polt bis Dennis Hopper. Oder die ganzen Bands, die wir treffen durften und die wir wirklich aufrichtig bewundert haben. Etwa die Ramones oder The Clash.“
Gibt es irgendwelche Rituale oder Eigenheiten, die Ihr Euch mit den Jahren angeeignet habt?
Campino: „Jeder hat seine eigenen Macken. Ich würde zum Beispiel nie während der Tour grundlos meine Schuhe wechseln. Wenn du einen guten Abend in einem Paar Schuhe hattest, dann latschst du die aus, bis sie auseinanderfallen. Man hat in 30 Jahren jede Menge Möglichkeiten, neue Theorien zu entwickeln. Ich dachte erst, flache Sohlen seien gut, dann taten mir die Hacken weh vom Springen. Dann kamen die hohen Sohlen, und ich bin umgeknickt - Kreuzbandriss, war auch nicht gut.“
Ihr spielt vor zigtausend Menschen bei Rock am Ring, aber tretet nach wie vor im Rahmen Eurer legendären „Wohnzimmerkonzerte“ zu Hause bei Euren Fans auf. Was ist das Besondere daran?
Campino: „Die Wohnzimmerkonzerte haben eine wahnsinnige Intensität. Es ist unheimlich schön, zu sehen, wie sich dann die Menschen freuen, und wie cool viele von denen sind, die unsere Musik hören. Du kommst in eine WG und denkst dir: Mensch, wenn ich Anfang 20 wäre, ich hätte hier gerne gewohnt. Das gibt einem unheimlich viel. Du bekommst eine Vorstellung davon, wer dich hört. Sonst versuchen wir ja das eher auszublenden.“
Warum das? Wollt Ihr nicht wissen, wie Eure Fans ticken?
Campino: „Ich will keine Erwartungshaltungen bedienen. Wir machen die Musik für uns. Wenn jemand anders was damit anfangen kann, dann freuen wir uns natürlich maßlos. Ich möchte aber keine Service-Arbeit abliefern, weil ich dann schon in die erste Falle treten würde, was Eigenbetrug angeht.“
Nicht nur Ihr feiert, auch Die Ärzte werden in diesem Jahr 30. Geburtstag. Wie steht Ihr inzwischen zu den einstigen Lieblingsfeinden?
Campino: „Die Streitigkeiten, die es ohne Zweifel mal gab, sind lange vorbei. Das ist inzwischen ein sehr gutes, kollegiales Verhältnis. Wenn eine neue Platte herauskommt, schicken die Berliner uns ihre zu und wir schicken denen unser Zeug. Wenn ein Techniker ausfällt, würden wir uns auch gegenseitig anrufen und fragen, ob jemandem einer einfällt, der da einspringen kann. Auf unserer Bonus-Platte („Die Geister, die wir riefen“), auf der wir alle möglichen deutschen Lieder covern, haben wir auch den Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“ drauf. Das ist ein aufrecht gemeinter, unironischer Gruß. Wir sind uns inzwischen sehr grün. Es gibt keine Ressentiments oder Konkurrenzgefühle. Jeder ruht bei sich.“
Auf dem neuen Album „Ballast der Republik“ erzählen die Songs „Drei Worte“ oder „Alles hat seinen Grund“ wieder von Schwierigkeiten der Liebe. Warum sind Deine Liebeslieder eigentlich immer so negativ?
Campino: „Das ist eine Frage, die möchte ich direkt an meine Psychologin weiterleiten (lacht). Es ist tatsächlich so. Ich krieg' es einfach nicht hin, irgendwas Normales in dieser Richtung abzuliefern, wo es nachher ein Happy End gibt. Mich hat das Abgründige immer schon fasziniert und es ist in mir geblieben. Ich will dann doch noch am Schluss den Dolch haben. Es wäre schön, wenn ich mal eine normale Liebesgeschichte hinkriegen würde. Ganz ehrlich: wenn ich das schaffe: ein gutes, positives, reines Liebeslied - ich glaub', dann muss ich aufhören.“
Interview: Jenny Tobien, dpa