Digitalism: Perfekt ist ihnen nicht gut genug

Für den Nachfolger zum hochgelobten „Idealism“ ließen sich Jens Moelle und Ismail Tüfekci von Digitalism vier Jahre Zeit. Die lange Pause hat sich gelohnt.

Düsseldorf. Ihr erstes Album haben Digitalism noch nachts aufgenommen — in stundenlangen Sessions, wachgehalten von Kaffee und der Leidenschaft, ihre spinnerten Soundideen in außergewöhnliche Musik zu gießen.

Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig. Schließlich gingen die beiden Hamburger tagsüber noch ihren Jobs nach: Jens Moelle als Verkäufer in einem Plattenladen und Ismail Tüfekci als Mitarbeiter eines Musikvertriebs.

Die schlaflosen Nächte haben sich gelohnt. Mit ihrem Debüt, einem wuchtigen Elektronikfeuerwerk, gelang den beiden Hobbytüftlern 2007 nichts Geringeres als ein musikalischer Urknall.

Beim zweiten Album, dem unter Fans lang ersehnten Nachfolger von „Idealism“ (2007), waren die Produktionsbedingungen humaner, man könnte sogar ketzerisch sagen: spießiger.

„Wir haben — wie jeder andere Arbeitnehmer auch — von neun bis fünf im Studio gesessen und an den neuen Songs gearbeitet“, entzaubert Tüfekci im Gespräch mit unserer Zeitung die Legende vom freigeistigen Künstler, dem Uhrzeiten völlig egal sind.

Dem kreativen Prozess des Duos tat das Korsett einer 40-Stunden-Woche keinen Abbruch. Die zehn neuen Tracks, zusammengefasst unter dem Titel „I Love You, Dude“, sprühen wieder vor blanker Musizierlust, die in ausgefeilten, vielschichtigen und metallisch nachhallenden Songs mündet.

Einzig der raue Schmelz, der beim Erstling noch etwas unfertig und dadurch höchst charmant das Soundgetriebe zum Knacken brachte, ist einer fein geschliffenen Professionalität gewichen. „Das war uns auch tatsächlich wichtig“, sagt Tüfekci. „Es gibt nichts Langweiligeres, als genau das noch einmal zu machen, was man sowieso schon mal gemacht hat.“

Diesen Perfektionismus entdeckten sie erst spät in der Produktionsphase. Drei Monate hatten sie bereits gewerkelt, das Ergebnis war eigentlich „zufriedenstellend“, doch auf einer DJ-Tour im Januar durch Australien haben sie plötzlich gemerkt, „dass da noch mehr geht bei den neuen Songs“.

Es wurde gepitcht und begradigt und neu eingesungen, regelrechte Ziselierarbeit liegt dem neuen Album zugrunde. Bei genauem Hinhören merkt man das auch: Gekonnt greifen die verschiedenen Synthesizer-Motive ineinander und verschmelzen zu einem mitreißenden Elektronik-Hybrid, teilweise rein instrumental, dann wieder durchsetzt von Moelles jugendlich sehnsuchtsvoller Stimme, die von Seelenverwandtschaft oder tiefgreifenden Veränderungen durch das Älterwerden singt.

Bei Digitalism hat sich tatsächlich einiges verändert: Aus den Musik-Nerds, die stundenlang über Platten dozieren konnten, ist innerhalb von vier Jahren ein kleines Unternehmen geworden. „Wenn wir auf Tour sind, sind wir mit neun Leuten unterwegs, die für uns arbeiten“, sagt Tüfekci.

Dass Moelle und er sich um viele kaufmännische Aspekte ihres Künstlerdaseins kümmern, ist für den 32-Jährigen selbstverständlich: „Wir könnten uns auch zurücklehnen und die Plattenfirma alles regeln lassen, aber wir haben die Fäden lieber selbst in der Hand.“

Und noch etwas hat sich grundlegend geändert: das Selbstverständnis des Duos als Live-Act. „Als wir ab 2006 zu Gigs und Festivals eingeladen wurden, hat man uns ins kalte Wasser geschmissen.“ Tüfekci muss laut lachen, wenn er sich erinnert: „Wir mussten plötzlich live spielen, dabei hatten wir das noch nie gemacht, geschweige denn eine Ahnung, wie das gehen soll.“

Mittlerweile bewegen sie nicht nur als DJs die tanzwilligen Massen in riesigen Clubs rund um den Globus, sondern überzeugen auch in großen Spielstätten mit ihren Livesets.

Diese veritable Bühnenpräsenz, die vor allem Moelles skurriler Mischung aus abgeklärter Frontsau und leicht verunsicherter Zurückhaltung zu verdanken ist, hat sie zu einem der gefragtesten Festivalacts werden lassen. Fast logischerweise wurde da die erste Single des neuen Albums, „2 Hearts“, zur offiziellen Festivalhymne von Melt (15. bis 17. Juli) gekürt.

Trotz ihres weltweiten Erfolgs sind Digitalism keine Stars, die sich nicht mehr auf die Straße trauen können. „Momentan kann man es noch genießen, wenn man nur hin und wieder ein wissendes Lächeln abbekommt“, sagt Tüfekci. Aber auch das wird sich wahrscheinlich noch ändern.