Dirigent Currentzis: Dandy mit absolutem Willen zur Kunst

Hamburg/Moskau (dpa) - Der griechische Dirigent Teodor Currentzis (44) macht musikalisch Weltkarriere aus der russischen Provinz heraus. In Perm am Ural-Gebirge, 1100 Kilometer nordöstlich von Moskau, leitet er seit 2011 das Musiktheater, gerade hat er um fünf Jahre verlängert.

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Der äußerste Rand Europas ist seine Zuflucht, doch er hat daraus auch eine Pilgerstätte für Größen der Musikwelt gemacht. Während draußen strenger Frost herrschte, spielte er in seinem Theater Mozart-Opern mit Simone Kermes ein. Bald bringt US-Regiestar Robert Wilson seine Fassung von Verdis „La Traviata“ nach Perm. An diesem Freitag erhält der Dirigent in Hamburg den mit 75 000 Euro dotierten Kairos-Preis.

Der dandyhafte Currentzis ist schon bei Auftritten im Westen eine ungewöhnliche Figur, im konservativen Russland wirkt er völlig exotisch. Er steht im schwarzen Flattermantel oder Puschelschuhen vor seinem Orchester. Meist dirigiert er ohne Stab - aus Liebe zur Musik, wie er sagt: „Ich umarme doch ein geliebtes Mädchen nicht mit Krücken.“ Wenn es geht, spielen seine Musiker im Stehen, in Bewegung. Oder das Publikum muss ohne Stühle auf dem Boden sitzen.

Wenn Currentzis danach sei, spaziere er „auch mal hinein ins Orchester, die Lage peilen und am Puls sein“, schrieb das „Hamburger Abendblatt“ über ein Konzert im Januar. Doch die Esoterik, gepaart mit Mut zu musikalischer Hässlichkeit, will nur eins: mit höchster Qualität ein zutiefst spirituelles Erleben von Musik ermöglichen.

Geboren wurde Currentzis 1972 in Athen. Seine Mutter war Pianistin, der Vater Polizist. Der Vater sei aber liberaler gewesen, sagte der Musiker der russischen „Esquire“-Ausgabe: „So merkwürdig es ist, die Pianistin hat mich Strenge gelehrt, der Polizist die Freiheit.“ Ab 1994 studierte Currentzis in St. Petersburg bei Ilja Musin, dem Ziehvater vieler bedeutender Dirigenten.

Und er blieb in dem Land, das Kultur und deren Schöpfer ungebrochen verehrt. „Ich bin Landsmann von Tschaikowski, Dostojewski, Malewitsch, Strawinski, Schostakowitsch, Lotman, Melnikow, Brodski und Batagow geworden“, sagt Currentzis über seine russische Staatsbürgerschaft.

Seine erste Station war das Opernhaus der sibirischen Metropole Nowosibirsk. Dort gründete er MusicAeterna, ein eigenes Ensemble für alte Musik, und den Chor New Siberian Singers. Dann nahm er sie mit nach Perm. Die Millionenstadt am Ural steht für eine in Russland unüblich liberale Kulturpolitik, auch moderne Kunst hat dort eine Zuflucht gefunden.

Für Currentzis ist die Randlage wichtig. In der verschworenen Gemeinde seiner Musiker kann er tage- und nächtelang proben, an jedem Detail feilen. „Es ist wie ein Kloster“, beschreibt er dieses Ideal. Gerade Vokalisten loben sein Verständnis. „Er hat selbst Gesang studiert und kann jederzeit mit der Stimme vorführen, was einem Sänger helfen könnte“, sagt die weißrussische Sopranistin Nadeschda Kutscher.

Vom fernen Perm aus bricht Currentzis immer wieder auf zu den großen Konzerthäusern, nach Moskau, Berlin, Wien, Zürich. Eine Mitstreiterin hat er in jüngster Zeit in der ähnlich eigenwilligen Geigerin Patricia Kopatchinskaja aus Moldau gefunden.