Ein Treffen mit Lana del Rey: "Auf die Schönheit kommt es an"
Pop: Seit drei Monaten betört Lana Del Reys unwirkliche Ballade „Video Games“ die Deutschen. Jetzt endlich kommt das dazugehörige Album. Ein Gespräch.
Köln. Der Geruch des Parfums ist süßlich, viel zu schwer für die zierliche Person. Er liegt überall in der weitläufigen Kölner Hotelsuite, in der Lana Del Rey ihre ersten Interviews als Popstar gibt. Im Sommer 2011 war sie noch eine unbekannte Underground-Künstlerin. Jetzt, rund ein halbes Jahr später, gehören ihre selbst zusammengezimmerten Clips zu den meistgeklickten auf YouTube, ihr ätherisch verruchter Song „Video Games“ sitzt an der Spitze der deutschen Single-Charts.
25 ist sie, ihre toupierte Mähne wirkt genauso voluminös wie die prallen Lippen, die nicht so recht zu ihrem kindlichen Gesicht passen wollen und bereits wilde Spekulationen darüber ausgelöst haben, ob sie aufgespritzt wurden. Die Haut straff, der Teint wie Porzellan, der Händedruck zurückhaltend. Alles strahlt diese leicht verrufene Thekengrandezza aus, mit der sie ihre Videos veredelt. Schnell ist klar: Das Gespräch findet mit einer Kunstfigur statt. „Let’s go“, sagt sie und schmiegt sich mit angezogenen Beinen an die Polster der eher schlichten Velourscouch. Eine Chaiselongue wäre angemessener. Del Rey macht trotzdem das beste aus der Situation.
„Nur, weil ich Clipschnipsel von Leinwand-Ikonen für meine Videos verwende, heißt das nicht, dass ich eine spezielle Faszination für das alte Hollywood hege.“ Ihre Stimme ist warm, ihr Kreuz durchgestreckt. Sie will Würde ausstrahlen, es wirkt bemüht, aber nicht unsympathisch. Hat sie sich für Bilder von Elvis oder Marilyn entschieden, weil dahinter gebrochene Charaktere stecken? Die Frage scheint sie zu amüsieren: „Ich mag Elvis einfach nur, weil er ein verdammt schönes Gesicht hatte.“ Sie lächelt vielsagend. „Ich weiß, dass ich eher melancholisch wirke. Aber um das mal klarzustellen: Ich bin ein sehr glücklicher Mensch.“
Am Abend zuvor stand sie im Kölner Gebäude 9 auf der Bühne, sang eine geschickt ausgewählte Quintessenz dieses erstaunlichen Songrepertoires, das mit seiner unwirklichen Atmosphäre seit mehreren Monaten Internet-User weltweit in seinen Bann zieht. Ein wenig wie in Trance wirkte dieser Auftritt. Nachdem sie ihre letzte Strophe gesungen hatte, verschwand sie, ohne die gleißende Euphorie des Publikums abzuwarten. Warum der schnelle Abgang? „Ein Auftritt ist kein Spaß“, sagt sie, „er beängstigt mich.“ Bereits Tage vor dem Konzert sei ihr permanent übel gewesen. „Langsam gewöhne ich mich daran. Aber fänden Sie es nicht auch furchterregend, wenn mehrere hundert Menschen Ihren Namen rufen und Bilder von Ihnen machen würden?“
Lana Del Rey heißt eigentlich Elizabeth Grant, sie wuchs in Lake Placid auf, einem Wintersportort im Norden des Staates New York. Ihr Künstlername ist ein Sample zweier US-Ikonen: Die Hollywood-Legende Lana Turner und das Ford-Mittelklasse-Modell Del Rey standen Pate. Auch hier gilt: Es soll vor allem gut klingen. Auf die Schönheit kommt es an. Nach tieferem Sinn bitte nicht suchen!
Mit 18 kam sie nach New York City. Bei ersten Talentwettbewerben, bei denen man ohne Voranmeldung auftreten kann, stellte sich heraus: Del Rey ist eine ziemlich geschickte Songschreiberin mit einer interessanten Stimme. Viel mehr noch beeindruckte aber ihre Aura: Schon damals wirkte sie wie ein vergilbtes Werbeplakat aus den 1960ern, das wegen seiner patinierten Grazie in Studenten-WGs gerne mal als Zeitgeist-Referenz an der Wand hängt. Was aber fasziniert eine junge Frau an dieser morbiden Entrücktheit, die sie ganz bewusst ausstrahlen will? „Düsternis will ich nicht verkörpern, mich interessiert vor allem Schönheit. Wenn man sich allerdings mit Schönheit beschäftigt, kommt auch immer eine düstere Seite zum Tragen.“
Die deutsche Niederlassung von Universal bewies einen guten Riecher, als sie Del Rey 2010 unter Vertrag nahm. Ihre wachen Augen blicken erwartungsfroh unter den schwer übertuschten Kunstwimpern hervor. „Gangster-Nancy-Sinatra“ umschreibt die Plattenfirma ihre Erscheinung in einem Steckbrief. Und dieses Label passt irgendwie. Allerdings will Del Rey davon nichts wissen: „Was mich an Nancy Sinatra fasziniert? Keine Ahnung, ich weiß zu wenig über sie.“ Sie lacht ein wenig müde, offenbar hört sie die Frage nicht zum ersten Mal. Ihr Blick fällt auf den Zettel, auf dem die Kurzbiografie steht. „Ist das der Wisch?“ Mit spitzen Fingern greift sie danach, lässt das Blatt aber sinken, als sie merkt, dass der Text auf Deutsch verfasst ist. „Vergessen Sie das!“, sagt sie, legt das Stück Papier demonstrativ zur Seite — und lächelt aufmunternd nach dem Motto: Keine Angst, ich erzähl’ schon alles!
Es ist nicht so, als würde es aus ihr heraussprudeln. Mit leicht vergeistigter Zögerlichkeit schildert sie ihre behütete Kindheit in einer heilen Welt und die Jugend ab 14 im Internat. „Ich wurde von den anderen nicht ausgegrenzt, ich blieb aus freien Stücken außen vor.“ Im Endeffekt sei jeder auf ihrer Schule ein Einzelkämpfer gewesen, stets bereit, sich zu verteidigen. Diese defensive Haltung strahlt sie bis heute aus.
Ein weiteres Merkmal ihrer Introvertiertheit: Viele der Menschen, die sie als Freunde bezeichnet, kennt sie nur über das Internet. „Das Netz ist fantastisch, es macht die Welt zu einem kleinen Dorf, und wenn irgendwo eine Katastrophe passiert, kann man viel effektiver und schneller reagieren als früher. Irgendwann wird das Internet die Welt zu einem sichereren Ort gemacht haben“, sagt sie mit dem Habitus einer Prophetin. Klar ist das dick aufgetragen. Aber Übertreibung ist bei Lana Del Rey der rote Faden, der das Gesamtkunstwerk zusammenhält.