Ein Besuch Ennio Morricone: Der Mann hinter dem Heulen der Kojoten

Rom (dpa) - Der Lift zur Legende rattert in den obersten Stock. Die Tür öffnet sich, alte Möbel mit Büchern, Gefäßen, Erinnerungsstücken stehen im Eingang. Ennio Morricone öffnet die Wohnungstür.

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Schwarzes Yves-Saint-Laurent-Hemd mit feinen weißen Streifen, bequeme Schuhe und schwarze Brille. Er ist klein. Zwischen Kunstwerken, Vasen, Kommoden, Lüstern, alten Schränken und Tischen in seiner Wohnung in einem grünen Außenbezirk von Rom droht der oscargekrönte Filmmusikkomponist fast unterzugehen. Aber seine Stimme ist fest, gibt ihm eine große Präsenz. Der „Maestro“ ist bestens gelaunt, scherzt und begrüßt für das Interview mit Küsschen.

Am Vorabend hat er ein grandioses Konzert in den Caracalla-Thermen in Rom dirigiert. In der archäologischen Anlage klingen Morricones Hits wie „The Ecstasy of Gold“ noch einmal bombastischer. Fast 90 Jahre alt ist der italienische Komponist, dem die Welt die Musik für Filmklassiker wie „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Für eine Handvoll Dollar“ oder „Zwei glorreiche Halunken“ zu verdanken hat. Aber nicht nur die Western von Regisseur Sergio Leone, mit dem Morricone schon in die Schule ging, hat er mit seiner Musik zum Kult gemacht.

In seiner 60 Jahre währenden Karriere hat er für rund 450 Filme die Musik komponiert. Sein Werk ist nicht nur Inspiration für Regisseure, sondern auch für Klassikkomponisten, Heavy-Metal-Bands und für Handyklingelton-Verkäufer. Im kommenden Januar gibt er in Berlin sein Abschiedskonzert in Deutschland.

Livekonzerte sind für ihn trotz aller Erfahrung immer auch ein Grund zur Sorge. „Ich bin nervös, weil es immer 'Unfälle' geben könnte. Ein Instrument trifft den Ton nicht. Vielleicht merken es die Leute (im Publikum) nicht, aber ich merke es. Es gibt auch die seltensten Fälle, dass ich einen Fehler mache, dann fange ich mich sofort wieder“, sagt Morricone.

Er gilt als Perfektionist. Er ist ein geradezu Besessener, ein Musik-Junkie, ein Workaholic. Er komponiert jede Note selbst, spielt die Musik selbst ein. Seine Musik sei zuallererst da, „um Musik zu sein, und basta“. „Danach kommt der Dienst am Film, aber erst die Musik.“ Computer spielen bei ihm im Gegensatz zu anderen Komponisten wie dem deutschen Oscarpreisträger Hans Zimmer keine Rolle. „Zimmer hat ein vollkommen anderes System“, so Morricone. Auftreten wollte er mit ihm daher nie.

Wenn Morricone redet, schnarrt, schnalzt und schnurrt er mit seiner Stimme, ahmt Geräusche oder Melodien nach. „Bbbrrrrrbrrrrrr“, so klang das Sägewerk hinter seinem Geburtshaus im römischen Viertel Trastevere. „Das Fenster in unserer Wohnung ging zu der Sägerei, wo sie mit unerträglichem Lärm die Baumstämme zersägt haben...brrrrrrrabrrr.... daran erinnere ich mich“, erzählt er. Ungewöhnliche Töne charakterisieren auch seine Filmmusik - so baute er für die Italo-Western zum Beispiel Kojoten-Geheul oder Schreie ein.

Rom und Morricone: Immer unzertrennlich. Nach Hollywood, wo er auf dem Walk of Fame auch einen Stern hat, habe es ihn nie gezogen. Man habe ihm zwar eine Villa umsonst angeboten, aber das habe er abgelehnt. „Ich dachte, vielleicht ist das ein schlauer Fuchs, der denkt, wenn er mir eine Villa gibt, muss er mir weniger zahlen“, so Morricone. Englisch spricht er trotz seiner vielen Engagements in Amerika nicht - er habe es vergeblich versucht zu lernen, bekennt er. Und jetzt - mit fast 90 - sei es auch schon zu spät.

Doch Hollywood riss sich trotzdem um ihn. Quentin Tarantino zum Beispiel nutzte seine Musik in mehreren Filmen wie „Kill Bill“ oder „Inglourious Basterds“. Aber erst spät komponierte Morricone eigens die Musik für einen Film des US-Regisseurs. Mit dem Soundtrack für „The Hateful Eight“ bekam Morricone dann auch endlich den Oscar, für den er zuvor fünf Mal nominiert, jedoch immer leer ausgegangen war. 2007 bekam er zwar den Ehrenoscar für sein Lebenswerk, aber erst 2016 für die beste Filmmusik.

Wie war das Gefühl? „Ich erinnere mich besser daran, als ich ihn nicht bekommen habe“, erzählt Morricone. „Weil ich immer dachte, ich hätte ihn verdient. Alle wussten, dass ich ihn verdient habe.“ Aber ein anderer Komponist habe gewonnen - der habe allerdings keine Originalmusik vorgelegt. „Sie haben alles falsch gemacht.“ Und so wollte er 2016 zu der Zeremonie in Hollywood erst gar nicht anreisen, weil er zuvor zu oft enttäuscht gewesen worden sei. Preise hat er sowieso genug gewonnen: Alle seien wichtig gewesen, auch wenn der Oscar am meisten Öffentlichkeit bringe.

Im November wird Morricone 90, für Filme komponiert er nicht mehr. Man muss mittlerweile etwas lauter mit ihm reden, aber ansonsten ist er vollkommen fit und wach. Keine Spur vom mürrischen „Maestro“, der sich über das Wort „Spaghetti-Western“ und immergleiche Journalistenfragen über Sergio Leone ärgert. Im Januar kommenden Jahres wird er in Deutschland sein letztes Konzert geben. „Mir scheint, in Deutschland mag man mich nicht so recht, da hatte ich wenig Konzerte“, sagt er. Als seine Übersetzerin ihn darauf hinweist, dass es in Deutschland sehr wohl, sehr viele gut besuchte Konzerte gebe und er dort sehr beliebt sei, erwidert er lachend: „Haha, waren es dann vielleicht die Schweizer?“