Entwaffnend ehrlich: Rod Stewart ist zurück
Berlin (dpa) - Die Reibeisen-Stimme ist zurück. Rod Stewart macht sich kurz nach seinem 70. Geburtstag auf, das eigene Leben zu vermessen - und nach fünf Jahrzehnten Pop-Business noch einmal das ganze Spektrum seiner turbulenten Karriere abzuschreiten.
Lange hatte sich der „beste weiße Soul-Sänger“ (O-Ton James Brown) mit neuen Kompositionen zurückgehalten, erst 2013 gab es wieder ein Album mit selbst geschriebenen Stücken. Die an diesem Freitag (23. Oktober) erscheinende Platte „Another Country“ ist nun Nummer 29 in einer an Brüchen reichen, eindrucksvollen Künstlerbiografie. Sie soll eine Fortsetzung sein, aber auch frische Akzente setzen. Das gilt gleichermaßen für Stewarts Texte wie für seine Musik.
„Gute Songs zu schreiben, ist nur dann möglich, wenn man so ehrlich wie möglich bei der Sache ist“, erklärt der in London geborene Halb-Schotte, der laut seinem Label Universal Music weltweit inzwischen über 200 Millionen Tonträger unter die Fans gebracht hat. Stewart nahm nie ein Blatt vor den Mund. Als Poet des Alltags verstand er es schon früher wie nur wenige andere Kollegen, intime Erfahrungen ungeschminkt und zugleich einfühlsam in mal heitere, mal traurige, aber immer eingängige Lieder zu kleiden.
In „Another Country“ kommt das Wesen des „Geschichtenerzählers mit unvergleichlichem Auge für die kleinen Details, um die sich das Leben dreht“ - wie das Fachblatt „Rolling Stone“ ihn nannte - jetzt jedoch so deutlich zum Vorschein wie selten. Man meint, Stewart habe es nicht mehr nötig, ein künstlich konstruiertes Image zu pflegen oder den branchentypischen Schrullen und Eitelkeiten zu frönen. Stattdessen scheint es, er wolle einfach seinen Mix aus Balladen, Soul, Folk und Rock für sich selbst sprechen lassen.
Die zusammen mit Co-Produzent Kevin Savigar entstandenen Songs sind schnörkellos und meist gut gelaunt. Gleich zu Beginn wird eine gehörige Portion an Glückshormonen ausgeschüttet: Fiedel, Mandoline und ein überschwänglicher Gesang lassen den Opener „Love Is“ zu einer irisch-keltischen Liebesarie anschwellen.
Etwas geerdeter geht es in Stücken wie „Please“ zu, die mehr an Stewarts frühe Blues-Zeiten erinnern. Er experimentiert aber auch mit Reggae-Klängen („Love and Be Loved“) oder mit Marsch-Trommeln und Trompeten wie im Titel-Song - Hauptfigur ist hier ein Soldat, der fernab der Heimat stationiert seine Liebsten vermisst.
Am dichtesten heran lässt uns der Sänger in „Batman Superman Spiderman“, einem Schlaflied für den jüngsten Sohn Aiden, in dem der Vater auch die eigene Jugend reflektiert. Bei insgesamt acht Kindern, die er von fünf verschiedenen Frauen bekam, kennt sich Stewart offenbar mit der Auswahl passender Gute-Nacht-Geschichten aus.
Er hat allerlei Höhen und Tiefen erlebt: von den Anfängen als Background-Sänger mit Aushilfs-Jobs und musikalischer Anführer von Protest-Demos in den 60ern über erste Solo-Aufnahmen und die Frontmann-Rolle bei den „Small Faces“ bis zum großen Erfolg mit Singles wie „Sailing“ oder „Maggie May“. Privat gab es viele Trennungen und Tumulte, in den 90ern kehrte dann etwas Ruhe ein.
Aber selbst nach den vielfach ausgezeichneten Jazz-Cover-Versionen der folgenden Jahre und einer Krebserkrankung hatte Stewart nicht genug. Die Niederschrift der Autobiografie 2012 bestärkte ihn, wieder als Songschreiber aktiv zu werden. Er zog sich in sein eigenes Studio zurück - erst dort habe Nummer 29 dann richtig Gestalt angenommen. „Dieses Album daheim aufnehmen zu können, hat sich viel intimer und einfach angenehmer angefühlt.“