Faszination pur: Brad Mehldau solo
Berlin (dpa) - Er gilt als der Bill Evans oder Keith Jarrett seiner, also der jüngeren Jazzpianisten-Generation unter 50. Brad Mehldau ist für Experten der vielseitigste und kreativste Könner dieses Fachs.
Sein neues Werk beweist es eindrucksvoll.
Und es ist kein einzelnes Album, sondern gleich eine Vier-CD- und eine Acht-Vinyl-Box, mit denen der 45-Jährige jetzt seine Fans beschenkt. „10 Years Solo Live“ (Nonesuch/Warner) heißt die Sammlung, und damit ist der Inhalt exakt umschrieben: Es sind 32 teils sehr lange Tracks, die im Laufe der Jahre 2005 bis 2014 bei 19 europäischen Konzerten des US-Amerikaners mitgeschnitten wurden - weit über 200 Minuten großartige Musik.
Wer Brad Mehldau, ob in seinen herausragenden Trio-Besetzungen, kleineren und größeren Ensembles oder auch solo jemals im Konzert erlebt hat, weiß um die enorme Bandbreite seines Könnens - von eigenen Stücken über faszinierende Cover-Versionen (oft aus dem Rock- und Pop-Bereich) bis zur Klassik. Dieses Spektrum wird auch hier abgedeckt, und was Mehldau dabei aus den gegensätzlichsten Kompositionen und aus seinem Instrument herausholt, ist schlicht sensationell.
Unterteilt sind die CDs beziehungsweise Langspielplatten in vier thematische Schwerpunkte - wobei die Abgrenzung nicht immer auf den ersten Blick klar ist:
Teil 1 „Dark/Light“ fasst überwiegend Mehldaus Interpretationen von unterschiedlichstem Fremdmaterial zusammmen, etwa „Dream Brother“ (Jeff Buckley), „Blackbird“ und „And I Love Her“ (The Beatles), „Jigsaw Falling Into Place“ (Radiohead“) oder „My Favorite Things“ (Rodgers/Hammerstein). Teil 2 „The Concert“ enthält erneut einen Song vom Radiohead, aber auch Sufjan Stevens, Nirvana und Massive Attack sowie Jazz-Klassiker wie „I'm Old Fashioned“ von Kern/Mercer.
Teil 3 „Intermezzo/Rückblick“ befasst sich mit den Größten des Jazz wie John Coltrane („Countdown“) oder Thelonious Monk („Think Of One“), aber in der Tracklist taucht auch Johannes Brahms auf. Teil 4 „E Minor/E Major“ bietet eine ähnlich große Vielfalt zwischen dem Chansonnier Léo Ferré, Pink Floyds Roger Waters, abermals Brahms und zum Abschluss „God Only Knows“ von den Beach Boys.
Höchst sensibel und virtuos stellt Brad Mehldau all diese Stücke in spannende Zusammenhänge, lässt sich in atemberaubenden Improvisationen davontreiben und findet doch immer wieder zum melodischen Kern zurück. Die enorme Klasse des Komponisten Mehldau erweist sich, wenn man dessen eigenes Material unmittelbar vor oder nach den illustren Cover-Versionen hört. So ist „10 Years Solo Live“ ein grenzenloses Vergnügen nicht nur für Jazz-Experten, sondern für jeden, der wertvolle Musik jenseits aller E- oder U-Kategorien mag.