Feinste Folktronica: Aero Flynn und Paper Beat Scissors
Berlin (dpa) - Die Verbindung von Akustik- und Elektronik-Sounds firmiert seit längerem unter dem Behelfsetikett „Folktronica“. Zwei der schönsten Beispiele aus jüngster Zeit liefern jetzt die Singer/Songwriter-Projekte Aero Flynn und Paper Beat Scissors.
Josh Scott alias AERO FLYNN legt mit seinem selbstbetitelten Debütalbum ein Musterexemplar für das noch recht überschaubare Genre vor. Da zirpen sanft die Gitarren, Klavierakkorde tröpfeln, Keyboards und Laptops lassen es knispeln, knirschen und pluckern, während sanfte Beats für schwebende Atmosphären sorgen und eine Männerstimme freundlich-melancholische Sensibilität ausstrahlt.
Gelegentlich wird der Rhythmus auch mal drängender und treibender (etwa in „Dk/Pi“ oder „Crisp“), so dass man sich kurz auf den Dancefloor einer ambitionierten Indie-Disco versetzt fühlt. Aber meist bleibt das Klangbild hauchzart-träumerisch, zumal Scott seine Stimme immer wieder doppelt, verzerrt oder im Hall versinken lässt. Hinzu kommen dezente Streicher- und Bläser-Arrangements voller Anmut und Rafinesse (am erhabensten im abschließenden „Moonbeams“).
Die Entstehung des herausragenden Folktronica-Albums „Aero Flynn“ (Memphis Industries/Indigo) wäre ohne Justin Vernon (Bon Iver, Volcano Choir) und den in Fachkreisen ähnlich anerkannten Chris Porterfield (Field Report) kaum denkbar gewesen. Beide gehörten zu Scotts Freunden und Fürsprechern, als dieser sich wegen Krankheit und diverser Lebenskrisen immer weiter abschottete und nach hoffnungsvollen Anfängen mit der Band Amateur Love aus der Musik komplett auszusteigen drohte.
In einem Apartment in Chicago begann der Eremit schließlich, an den wunderschönen Aero-Flynn-Songs zu schreiben. Die Feinarbeit bei Vernon im April-Base-Studio in Wisconsin mit diversen Gastmusikern - einige von der befreundeten Band Bon Iver - zeitigte grandiose Erfolge. In neun herrlichen Liedern zwischen berührender Innerlichkeit und schwerelosem Groove gelingt Josh Scott die perfekte Synthese zwischen - Pi mal Daumen - Radiohead der „Kid A“-Phase, The National, Fin Greenall (Fink) und Sufjan Stevens. Zweifellos eines der besten Indiepop-Alben des Jahres.
Auch die Musik des Briten Tim Crabtree alias PAPER BEAT SCISSORS hat etwas Zerbrechliches, ohne jemals lamoryant zu klingen. Der in der Musikszene von Halifax (Kanada) sehr angesehene Songwriter schafft es mit seinem zweiten Album „Go On“ (Ferryhouse/Warner Zebralution), großformatigen, kraftvollen Folkrock („Lawless“) und eindringliche Elektronik-Sounds („When You Still“), Gitarren und Loops miteinander zu verlöten. Crabtrees helle, an Sufjan Stevens erinnernde Stimme liegt über fantasievollen Arrangements, zu denen ein Dutzend Musiker beitrug (besonders eindrucksvoll im monumentalen „Altona“ und im Instrumental „A Reprieve“).
Der umtriebige Songwriter ist nach den beglückenden Erfahrungen der Aufnahmen zu „Go On“ inzwischen schon ein Stück weiter: Er arrangiert Musik für ein Kammerorchester. „Die Leute haben im Kopf immer diese Barriere zwischen Unterhaltungs- und Klassischer Musik, dabei gibt es so viele Möglichkeiten, beides zu verbinden“, sagt Crabtree. Das dritte Album von Paper Beat Scissors könnte also von Folktronica ausgehend noch stärker in eine orchestrale Richtung à la „Bundled“ gehen.
Konzerte Paper Beat Scissors: 1.10. Graz, Orpheum; 2.10. Weyer/Österreich, Bertholdsaal; 3.10. Wien, Waves Festival; 4.10. Augsburg, Bedroom Disco; 5.10. Innsbruck, Rififi (solo); 7.10. Köln, Tsunami; 8.10. Hamburg, Knust; 9.10. Duisburg, Steinbruch; 11.10. Münster, Fachwerk Gievenbeck; 12.10. Berlin, Monarch; 14.10. Mainz, Schon Schön; 15.10. Freiburg, Swamp; 16.10. Erfurt, Franz Mehlhose.