Hengelbrock lässt neue Wagner-Töne erklingen
Dortmund (dpa) - Das Wagner-Jahr hat im Dortmunder Konzerthaus seinen ersten Höhepunkt erlebt.
Der Dirigent Thomas Hengelbrock hat versucht, die originale Klanggestalt des „Parsifal“ zu rekonstruieren und Wagners „Bühnenweihfestspiel“ vom Ballast verfremdender Aufführungstraditionen zu befreien, um damit eine neue Sicht auf das Werk zu ermöglichen.
Hengelbrock ist nicht der erste, der sich Wagner mit dem Blick der historischen Aufführungspraxis nähert - Bruno Weill hat das bereits mit dem „Fliegenden Holländer“ gewagt und Roger Norrington hat Wagners Ouvertüren eingespielt. Das Dortmunder „Parsifal“-Projekt, das im Anschluss noch in Essen und Madrid zu erleben sein wird, ist dennoch der bisher aufwendigste Versuch, Wagner zu entstauben. So wurden eigens Instrumente wie die Ritterbratsche oder die Kurbelpauke nachgebaut.
Die Premierenaufführung im Dortmunder Konzerthaus am Sonntagabend fand freilich unter Bedingungen statt, die denen der Uraufführung und damit Wagners künstlerischen Absichten keineswegs entsprachen. Denn Wagner hat sein Spätwerk bis ins letzte Detail auf das Bayreuther Festspielhaus abgestimmt, das über einen verdeckten Orchestergraben verfügt, der den Klang gemischt abgibt und die Blechbläser tief in den Keller des Grabens verbannt.
Die konzertante Aufführung in Dortmund bot dagegen so etwas wie eine Laborsituation: Das Balthasar-Neumann-Ensemble auf der Bühne imposant aufgebaut in gemischter Sitzordnung, die Solisten davor, ohne den riesigen Apparat übertönen zu müssen, der Chor sauber aufgereiht auf der Empore.
Dass Wagner stets das Gesamtkunstwerk anstrebte und seinen „Parsifal“ nie und nimmer als reines Musikereignis ohne szenische Aktion hätte durchgehen lassen, konnte jedoch auch in der konzertanten Situation nicht ganz unterdrückt werden. So versuchten die Sänger, ihre Auftritte mit angedeuteten Handlungen und Gesten anzureichern, was zum Teil unfreiwillig komisch wirkte, wenn etwa der Held einen nicht vorhandenen Speer umklammert.
Hengelbrock hatte zuvor zu Protokoll gegeben, dass er nicht gedenke, den „Parsifal“ zu entmystifizieren. Er näherte sich Wagners Partitur mit einer Ehrfurcht, die zunächst der unvoreingenommenen Haltung der historischen Aufführungspraxis zu widersprechen schien. Zwar wählte er durchweg rasche Tempi und bot den Sängern beste Bedingungen, auch leise Töne zu wagen und verständlich zu deklamieren, wagte aber anfangs wenig von der angekündigten aufgerauten Differenzierung.
Dennoch gab es klangliche Überraschungen mit einer durchweg nuancenreicheren Farbgebung als gewohnt. So sorgte etwa das konsequente Non-Vibrato-Spiel der Streicher für eine neue Balance im Gesamtklang zugunsten der Bläser. Dies schuf Momente größter Intimität, die man so noch nie gehört hat. Stellenweise hätte man sich insbesondere bei den Streichern allerdings auch ein Mehr an Brillanz gewünscht.
Gemischt auch die Bilanz bei den Sängern: Simon O'Neill in der Titelrolle besaß einen eher schlanken, zu Beginn penetrant näselnden Tenor, der sich aber zusehends frei sang. Matthias Goernes Amfortas klang belegt und musste viel Kraft einsetzen, Frank van Hoves Gurnemanz deklamierte wunderbar verständlich, blieb aber farblich blass. Angela Denokes Kundry klang in den Höhen unfrei und in der Mittellage künstlich abgedunkelt. Über jeden Zweifel erhaben dagegen Johannes Martin Kränzles packendes Klingsor-Porträt und Victor von Halems orgelnder Titurel. Fabelhaft präzise und intonationsrein der Balthasar-Neumann-Chor und der Knabenchor der Dortmunder Chorakademie und die hervorragenden Blumenmädchen.
Fazit: Ein denkwürdiger, vom Publikum mit größtem Applaus bedachter Abend, der viele neue Wagner-Töne erklingen ließ, die Aufführungstradition aber wohl kaum aus den Angeln heben wird.