Irène Schweizer: „Ich bin fast brav geworden“
Irène Schweizer, Pianistin von Weltrang, spielt in Wuppertal.
Wuppertal/Zürich. Als Irène Schweizer mit 19 Jahren den Amateur-Jazzwettbewerb der Schweiz gewann, waren Frauen in dieser Sparte gar nicht vorgesehen: Als Preis erhielt sie 1960 ein Päckchen Zigaretten und ein Herrenhemd. Lange blieb sie die einzige Pianistin im europäischen Jazz, bis heute ärgert sie sich über Festival-Veranstalter, die keine einzige Frau einladen.
Am Sonntag spielt Europas wichtigste Jazzpianistin im Skulpturenpark in Wuppertal — die Stadt im Bergischen kennt sie gut durch die Kontakte zu Kollegen wie Peter Brötzmann, Rüdiger Carl und Peter Kowald. Dem 2002 gestorbenen Bassisten ist das Konzert auch gewidmet.
Irène Schweizer lacht: „Davon weiß ich gar nichts. Aber ich kannte ihn sehr gut — und man vermisst ihn schon. Er wollte immer nur spielen, von morgens bis abends.“ Dass sie in einem Park unter uralten Bäumen auftritt, beschäftigt sie nicht weiter: „Mir ist egal, wo ich spiele.“
Die fast 70-Jährige, die in Zürich lebt, wirkt auf den ersten Blick unscheinbar, doch am Klavier beginnt sie zu strahlen. Als Pianistin ist sie Autodidaktin. Sie hat mal Sekretärin gelernt und kokettiert deshalb, sie habe einen Anschlag wie eine elektrische Schreibmaschine. In allen Spielarten des Jazz hat sie sich getummelt. Sie spürte Dixieland und Bebop, Boogie Woogie, Ragtime und Souljazz nach, bis sie in den 60er Jahren im Free Jazz ankam.
Dann gab es kein Halten mehr: Sie rückte dem Instrument nicht nur über die Tasten zu Leibe, sondern machte es — hier klopfend, da zupfend — in allen Teilen zum Klangkörper. Doch ihr sit wichtig: „Ich gehörte nie zu den Power-Musikern wie die Wuppertaler. Bei mir merkte man immer den Jazz im Hintergrund.“
In ihre Auftritte sind auch immer politische Anliegen eingeflossen — gegen Rassismus, für Frauenrechte. Das fehlt ihr bei den Nachfolgern: „Bei den jungen Musikern klingt das alles ziemlich brav. Man merkt nicht, dass da eine Wut hinter ist. Ich finde das oft flach, obwohl die vieles besser können als ich.“
Ihre eigene Wut von früher empfindet sie mittlerweile als gedämpft. Ihr Spiel sei ruhiger geworden, manchmal schon fast brav: „Ich versuche jetzt, weniger Töne zu spielen.“ Doch der Kick durch die Improvisation, das „instant composing“, bleibt: „Das Flüchtige ist das Spannende.“
Eigentlich will es Irène Schweizer allmählich ruhiger angehen lassen, lieber im Zürichsee schwimmen gehen, statt dauernd zu touren. „Doch dieses Jahr ist es schwierig, weil mein 70. überall gefeiert wird. Aber nächstes Jahr bremse ich wieder.“
Klangart-Konzerte im Wuppertaler Skulpturenpark, Hirschstraße 12, Tel. 0202/31 72 989: Irène Schweizer tritt am Sonntag um 18 Uhr mit dem Percussionisten Pierre Favre auf, der lange im Orchester Max Greger spielte. Weitere Termine: Sa., 18. Juni, 19 Uhr: Omar Sosa Quartet — „Afreecanos“; So., 19. Juni, 19 Uhr: Radio.String.Quartet.Vienna.