Israelischer Chor singt in Dachau

Dachau/München (dpa) - Was an diesem Donnerstag in der KZ-Gedenkstätte Dachau passieren soll, ist eine kleine Sensation: Erstmals treten israelische Musiker in einem ehemaligen Konzentrationslager auf.

Der Kammerchor der Musikhochschule Jerusalem wird gemeinsam mit dem Vokal Ensemble München in der evangelischen Versöhnungskirche der Gedenkstätte singen - auf Deutsch und Hebräisch. Für den israelischen Chorleiter Stanley Sperber (69) ist das ein großes Zeichen der Versöhnung, wie er im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa in München sagte.

Herr Sperber, Ihr Chor singt auf dem Gelände des ehemaligen KZ. Hatten Sie keine Bedenken, an dieser Schreckensstätte aufzutreten?

Stanley Sperber: „Nein. Kein israelischer Chor hat jemals zuvor in einem Konzentrationslager gesungen und es ist einfach eine ganz große Chance und ein ganz besonderes und wichtiges Ereignis für uns. Ein deutscher und ein israelischer Chor, die gemeinsam deutsche und israelische Lieder auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers singen - das ist ein großartiges Zeichen dafür, dass die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden heilen.“

Tun Sie das denn?

Stanley Sperber: „Ja. Unsere schlimmen Tage liegen 70 Jahre zurück. Wir werden den Holocaust niemals vergessen können - es war einfach so schmerzhaft, dass immer eine Narbe in unserer Erinnerung zurückbleiben wird. Und die Generation meines Vaters wird wahrscheinlich nicht mehr an einer Aussöhnung interessiert sein - das ist hoffnungslos. Aber dies ist eine neue Generation und ich denke, die Zeit der Heilung ist gekommen. Es ist nicht gut, Hass in sich hineinzufressen. Damit schadet man sich nur selbst. Man muss seine Gefühle herauslassen - und am besten verzeihen. Dieses Konzert kann ein Symbol dafür sein und den Heilungsprozess auf die nächste Stufe heben. Das ist es, was Musik bewirken kann - sie bringt die Menschen zusammen und reißt Grenzen ein. Darum werde ich auch versuchen, in Israel einen Chor aus Israelis und Palästinensern zusammen zu stellen. Das wird nicht leicht, aber jeder muss versuchen, seinen Beitrag zu leisten.“

Welche Erwartungen haben Sie an das Konzert in Dachau?

Stanley Sperber: „Wir wissen alle, dass das ein heftiger Moment für uns werden wird. Es wird ein sehr, sehr emotionales Konzert für meine Truppe hier. Ich hätte verstanden, wenn einige Chormitglieder das nicht gekonnt hätten, aber sie sind alle mitgekommen - sogar ein Mädchen, dessen Großvater in Dachau eingesperrt war. Der Holocaust ist ein sehr wichtiger Teil unserer Geschichte und auch unseres Bewusstseins. Einige meiner jungen Leute haben noch nie ein Konzentrationslager besichtigt und das wird für sie sicher ein einschneidendes Erlebnis.“

Und für Sie persönlich?

Stanley Sperber: „Natürlich war auch in meiner Familie, die viele ihrer Mitglieder verloren hat, der Holocaust ein großes Thema. Aber ich erzähle Ihnen eine Geschichte: Bei einem Konzert in Israel habe ich 1973 eine alte Frau aus Krakau getroffen, die völlig aufgelöst war. Sie erzählte mir, dass sie früher in einem Chor gesungen hat, der den gleichen Namen trug wie mein hebräischer Chor in den USA. Der Chorleiter hatte den gleichen Nachnamen wie ich und unsere beiden Chöre starteten immer mit dem gleichen Lied. Dieser Sperber war 1942 von den Nazis umgebracht worden, ich wurde 1942 geboren. Die alte Frau zitterte, als sie mir das erzählte und ich fing auch an zu zittern. Ob man an so etwas glaubt oder nicht - für mich war das einfach zu viel, um Zufall zu sein. Ich denke seitdem: Vielleicht ist es meine Aufgabe, die Arbeit dieses Mannes fortzuführen.“

Sie werden in Dachau auch israelische Volkslieder singen...

Stanley Sperber: „Ja. Das symbolisiert, dass unser Volk lebt und weitermacht. Wir wissen, dass die Konzentrationslager Teil unserer sehr, sehr traurigen Geschichte sind, aber wir leben in der Gegenwart - und darum wollen wir auch fröhliche Lieder singen. Das ist für mich auch Teil dieses Symbolismus.“