Jonathan Jeremiah: Keine Fußstapfe ist für ihn zu groß

Die britische Musikpresse hat einen neuen Liebling: Jonathan Jeremiah. Tatsächlich ist sein Debütalbum „A Solitary Man“ eine Offenbarung, findet unser Autor.

Düsseldorf. Neuer Stern am Musiker-Himmel oder faules Ei? Diese Frage stellt sich ja immer, wenn auf dem britischen Musikmarkt — als dem Fließband der Musik- und Trendproduktion — vom nächsten „Big Thing“, dem nächsten „großen Ding“, gesprochen wird. Es scheint wieder mal so weit: Das neue „große Ding“ heißt Jonathan Jeremiah, hat einen wirren Lockenschopf, pflegt das Image des sensiblen Singer/Songwriters und hat gerade sein Debütalbum „A Solitary Man“ veröffentlicht.

Bei den britischen Journalisten wird Jeremiah bereits mit Adjektiven wie „vielfältig“, „elegant“, „zeitlos“ und „authentisch“ versehen. Einer wie Altmeister Johnny Cash brauchte fast ein ganzes Leben lang sowie Produzenten-Guru Rick Rubin an den Reglern, damit er derlei flächendeckende Zustimmung genoss. Der junge Jeremiah, gerade mal 30 und nur eine handvoll Jahre als Musiker unterwegs, schafft das direkt mit seinem Erstling.

Die Internetseite „Songwriters Webteam“ jauchzt bereits in höchsten Tönen von Songs, die ein „wohliges Sommergefühl“ verschaffen. Die Stimme des Engländers klinge dabei „durchdringend und dramatisch“. Die Instrumentierung seiner Songs sei nicht weniger als „eindrucksvoll und opulent“ geraten. Die erste Singleauskopplung heißt passend dazu „Happiness“ — Freude. Dazu passt auch irgendwie die Vita dieses Mannes aus London.

Schon mit sechs Jahren hielt Jeremiah seine erste Gitarre in der Hand — einen besseren Zeitpunkt, mit dem Musizieren zu beginnen, gibt es nicht. Seine musikalische Sozialisation erfuhr er optimalerweise bei Gesangsabenden im Familienkreis und somit im Rahmen einer Tradition, die heutzutage fast vergessen ist. Aber Jeremiahs Mutter kam eben in Tipperary zur Welt. Das liegt in Irland. Und den Iren wird die Liebe zur tiefgründigen Musik ja bekanntlich in die Wiege gelegt. Hinzu kam die Plattensammlung des Vaters, in der der junge Engländer wühlte und stöberte: Scott Walker, Cat Stevens, Serge Gainsbourg, John Martyn, Carole King. Namen, die für Musikfans purer Zucker sind, Songwriter-Musik für Genießer. Wer braucht da noch einen Blick auf aktuelle Trends? Jeremiah setzte sich lieber hin und schrieb eigene Songs.

Hört man das Ergebnis, muss man anerkennend schwärmen: Und was für welche! „A Solitary Man“ mag das Erstlingswerk eines Musiker-Neulings sein. Aber es strotzt vor einem Selbstbewusstsein, das sich in der beeindruckenden Lässigkeit seiner elf Stücke äußert. Man hört ein bisschen Folk wie bei den alten Singer/Songwriter-Ikonen. Aber vor allem ist da dieser Soul, Soul und nochmals Soul. Und der ist seit jeher am besten, wenn er völlig entspannt daherkommt. Marvin Gaye und Otis Redding zeigten einst, wie das geht. Jeremiah macht es nun mit einer tiefen, sanft und streichelnd über die Harmonien gleitenden Stimme nach. Das ist, ganz schlicht gesprochen, verdammt gut.

Und noch etwas macht aus Jeremiahs gutem Album ein hervorragendes Album: die Sehnsucht. Sie ist für den Soul als sprichwörtliche „Seelen-Musik“ das Wichtigste und klingt aus jeder Note, die Jeremiah singt. Es ist eine Sehnsucht, die stets nach dem perfekten Song strebt — einem Song, der dem Hörer die Illusion einer durch und durch perfekten und liebenswerten Welt vorgaukelt. Passend dazu erzählt Jeremiah auf seiner Internetseite eine Geschichte: Als er vor Jahren noch als Sicherheitsmann in der Londoner Wembley-Arena arbeitete, sei er einmal spät nachts nach einem Konzert von Bruce Springsteen auf die Bühne gehuscht und habe sich allein in der leeren Halle mit geschlossenen Augen vorgestellt, wie es sich wohl anfühlen würde, dort oben zu stehen und den jubelnden Massen im Stadion die selbst geschriebene Musik „zu schenken“.

Geschenkt hat er sie ihnen jetzt schon mal mit seinem famosen Debütalbum. Fehlt nur noch der Applaus. Aber der dürfte nicht allzu lange auf sich warten lassen.