Lena Meyer-Landrut: ...und sie bleibt weiter ein Glückskind
Das hätte auch schief gehen können. Ohne Stefan Raab versucht sich Lena Meyer-Landrut als Songschreiberin — und liefert ein absolut unprätentiöses Pop-Album ab, das Spaß macht.
Düsseldorf. Ein Hörsaal von innen? „Nein, ich war nur eingeschrieben“, sagt Lena Meyer-Landrut mit einem Nachdruck, der klar machen soll, dass sie nirgends über sich lesen will, sie habe irgendwann mal studiert. „Bevor es losging, hatte ich mich bereits anders entschieden.“ Sie sitzt im Zug, während sie telefoniert, die Leitung ist teilweise unterbrochen. Aber man hört, wie zufrieden sie mit dieser Entscheidung ist.
Ein Jahr ist sie her. Das mediale Dauerfeuer, das seit „Unser Star für Oslo“ und dem Sieg beim Eurovision Song Contest 2010 rund um Lena loderte und dank der „Operation Titelverteidigung“ im Jahr darauf in Düsseldorf bis in den Sommer 2011 nachglühte, war langsam am Erkalten. Eigentlich wollte Lena eine Auszeit nehmen, Philosophie studieren, ihre neue Heimat Köln genießen, weg aus diesem Rampenlicht, in dem ihr Image als Everybody’s Darling einer kollektiven Ernüchterung, teilweise sogar Genervtheit gewichen war.
Geklappt hat das nicht. „Vier, fünf Monate haben mir gereicht, dann war da plötzlich ein Kribbeln in den Fingern.“ Eigene Songs zu komponieren, das schwebte ihr vor. Problem: „Ich kann es nicht alleine. Ein Instrument habe ich nie gelernt.“ Als sie klein war, habe ihr die Motivation gefehlt. Außerdem habe man sie zu so etwas nie gezwungen. Bedauern? Ach was. Klappt ja auch so.
Lenas Konzept bleibt weiterhin: Ich mache das, worauf ich neugierig bin. Und nach zwei Jahren im Dienste der „nationalen Aufgabe“, wie ihr Entdecker Stefan Raab die ESC-Teilnahmen immer vollmundig nannte, versuchte sie sich am Songschreiben. Ohne Raab. Gab’s Stress? „Nein, im Gegenteil. Wir verstehen uns weiter gut“, sagt Lena. „Ich habe einfach vor mich hin experimentiert, mich mit ein paar Musikern getroffen, mit denen ich meine Ideen ausgearbeitet habe.“
Dass Raab, der ihre ersten beiden Alben produziert hatte, nicht beteiligt war, habe sich einfach so ergeben. Ein Plan steckte nicht dahinter. Irgendwann war dann klar: Es wird was Eigenes. „Natürlich haben wir darüber geredet, und ich habe gesagt: Produzier’ doch den ein oder anderen Song. Aber er meinte: Mach mal!“ Ein guter Mentor erkennt, wie viel Freiraum sein Schützling braucht.
Hört man „Stardust“, so der Titel des Albums, ist der erste Eindruck: irgendwie gut. Sicher, gewagt ist was anderes, und an der ein oder anderen Stelle („Pink Elephant“, „Goosebumps“) wird es ein wenig zu zuckrig, fast schon albern. Aber mit welcher Zielsicherheit sich hier eine geschmeidig komponierte Popmelodie an die nächste reiht und Lena ihre widerborstige Stimme weder zügelt noch in den Vordergrund drängt, zeugt von Stil- und Selbstbewusstsein.
Geholfen haben ihr dabei Musiker, die erfahrene Hitproduzenten sind: Der Brite Johnny McDaid schreibt Hits für Paul Van Dyk und arbeitet als Tourmusiker für Snow Patrol. Die Schwedin Linda Carlsson veröffentlicht seit einigen Jahren als Miss Li lockeren Spaß-Pop mit Retro-Spleen — vor allem ihr sind die besten Songs des Albums zu verdanken. Ihr Mann Sonny Gustafsson legte schließlich beim Abmischen letzte Hand an.
Es ist keine dieser viel beschworenen Neuerfindungen. „Stardust“ ist schlicht erfrischender Pop einer jungen Frau, die auch erstmal bequem das Leben einer Studentin hätte führen können — solange, bis sie nicht mehr von jedem auf der Straße erkannt wird.
Dass sie nicht das normale Leben einer 21-Jährigen führen kann, nimmt sie gelassen. „Ich habe das Glück, dass ich nicht so die große Partymaus bin“, sagt sie. „Ansonsten mache ich eigentlich alles, was ich will.“ Obwohl: Kino sei knifflig, räumt sie ein.
„Wenn man in der Schlange wartet oder dann endlich mal sitzt, kann man sich schwer verstecken.“ Und aufs Freibad verzichtet sie ganz. „Wenn mich da einer im Badeanzug fotografieren würde, wäre mir das unangenehm.“ Sie beschwert sich nicht darüber, sie stellt es nur nüchtern fest — weil sie weiß, wie gut es ihr geht.
Und es scheint nicht aufzuhören: Der Titeltrack „Stardust“ stieg auf Platz zwei der Singlecharts ein und hält sich bislang beständig unter den ersten Zehn. „Der Druck, den ich mir selbst gemacht habe, war immens, der Nervenkitzel groß“, sagt Lena rückblickend. „Jetzt bin ich einfach nur erleichtert.“
Die Bilanz: Sie hat genügend Neues gewagt, um nicht abgenutzt zu wirken. Und ist entspannt genug geblieben, um sich nicht mit überambitioniertem Popanz lächerlich zu machen. Ziemlich perfekt.