Metric: Mehr als nur „Gefällt mir“ klicken

Wie viele andere aktuelle Bands entdecken auch die kanadischen Synthie-Rocker von Metric auf ihrem neuen Album ihre politische Seite.

Düsseldorf. John Lennon, Bob Dylan und zuletzt Kurt Cobain — sie alle hatten auf ihrem Höhepunkt eines gemein: den Einfluss auf die Gesellschaft. Doch die Zeit der Protestsongs ist lange vorbei, meinen Emily Haines und James Shaw von Metric.

Die Sängerin und der Gitarrist, die die kanadische Band 1999 in New York gründeten, kennen fast nur noch entmutigte Kollegen: „Das Gefühl, als Musiker die Welt verändern zu können, ist einfach weg“, sagt Shaw. „Das Tollste, was man sich momentan erhoffen kann, ist, dass sich ein Song für ein paar Wochen viral im Netz verbreitet. Das war’s.“ Und leicht ironisch fügt er hinzu, dass die Macht von Musik heute kaum mehr bewirke, als den Hörer zum „Gefällt mir“-Klicken auf Facebook zu animieren.

„Synthetica“, das fünfte Studioalbum des Quartetts, klingt zwar fröhlich, poppig und unbeschwert und enthält die eingängigsten Melodien der Bandgeschichte — dem komplexen Thema, das es behandelt, lastet aber auch etwas Düsteres an. Obwohl das kein Konzept sein soll, zieht es sich wie ein roter Faden durchs gesamte Werk — sei es musikalisch, textlich und sogar gestalterisch. Der Kontrast aus Künstlich und Natürlich ist stets gegenwärtig. Statt mürrisch zu resignieren, versucht die Band allerdings, gut gelaunt zu motivieren.

Im Klang-Eindruck eines Analog- und Digital-Mixes wollen Metric die Hörer dazu bewegen, die Geschehnisse der Welt zu hinterfragen und sich selbst darin auf Echtheit zu prüfen. Mit den politischsten Songs ihrer Karriere, wie zum Beispiel der Single „Youth Without Youth“, reagieren Metric auf das Ergebnis der Occupy-Bewegung.

Bei den Missständen, auf die die jungen Leute aufmerksam machen wollen, setzen sie an: „Danke für den riesigen Schuldenberg, für den Mangel an Arbeitsplätzen, für die Kürzung der Pensionen und die Schwächung der Arbeitnehmerrechte“, zitiert Emily Haines die Botschaft der Bewegung.

Trotzdem deutet sie darauf hin, wie schwierig die Demonstranten es haben, ihre Unzufriedenheit rüberzubringen, „ohne dass die Mächtigen sich einfach darüber lustig machen können — weil da ‚nur‘ ein paar Leute mit Trommeln im Kreis sitzen“.

Dass sich Metric, deren Mitglieder inzwischen die Mitte 30 überschritten haben, der Occupy-Generation so verbunden fühlen, erklären Shaw und Haines mit einem weiteren Phänomen unserer Zeit: der Auflösung klassischer Generationsschubladen.

Wo früher zwischen Eltern und Kindern noch Welten lagen und die Unterschiede schon rein optisch durch das Tragen von Anzügen hier und langen Haaren dort bestätigt wurden, hat sich die Kluft fast geschlossen.

Eltern und Kinder haben neben den gleichen Problemen heute auch ähnliche Wünsche — und oft dieselbe Wellenlänge. „Vielleicht, weil viele Menschen erst sehr spät eine Familie gründen. Deshalb fühlen sich heute alle von 18 bis 35 in der gleichen Altersklasse“, so Haines.

Um die ganze Bandbreite ihrer Wirkungsmöglichkeiten zu nutzen, lassen Metric Erfahrungen, Erlebnisse und Haltungen in die Musik einfließen. Sie singen und schreiben nicht nur von Liebe und Beziehungen, sondern sagen erneut ihre Meinung. „Ein Hauptanliegen unserer Band war es immer, unsere Hörer zu inspirieren und zu ermutigen, sich für das, woran sie glauben, einzusetzen, statt bloß alles hinzunehmen“, erklärt Shaw. „Der Grundgedanke ist, ihnen klarzumachen, dass es ihr gutes Recht ist, die Welt nach ihren Vorstellungen mitzugestalten.“

Und wenn jemand gesellschaftlich relevante Themen derart inspirierend, modern und rockig wie Metric auf „Synthetica“ rüberbringt, könnte es vielleicht doch irgendwann zu einem unerwarteten Revival des Protestsongs kommen. Die Hoffnung darauf liest man zwischen den Zeilen.

Termin: 4. Juli, Amsterdam, Melkweg