Kommerz oder Qualität Nach Echo-Aus: Braucht Deutschland noch einen Musikpreis?

Berlin (dpa) - Solche Sorgen hätte die deutsche Musikindustrie in diesem Jahr wohl auch lieber gehabt: Nach der Grammy-Verleihung im Januar gab es Proteste, die Auszeichnung der US-Plattenbranche sei von Männern dominiert.

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Auf Twitter machte der Hashtag #GrammysSoMale (Grammys so männlich) die Runde. Die zuständige Recording Academy sagte daraufhin zu, Vorurteile gegenüber Frauen zu untersuchen.

In Deutschland musste sich der Branchenverband mit Antisemitismus und Auschwitz befassen.

Nach einer Woche der Proteste gegen den Echo für die Rapper Farid Bang und Kollegah war der deutsche Musikpreis derart ruiniert, dass sich der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) zum Äußersten entschloss: Den Echo wird es nicht mehr geben. In welcher Form der Preis auferstehen soll, will die Branche nun beraten.

Beim Echo hatte zuletzt eine 550-köpfige Jury über einen Großteil der Auszeichnungen abgestimmt. Die Nominierungen ergaben sich aus den Charts: Die fünf erfolgreichsten Künstler kamen auf die Liste. Eine Nominierung der umstrittenen Rapper habe dem Regelwerk entsprochen, verteidigten die Verantwortlichen die Ehrung.

Weder die Jury noch der Beirat reagierten auf die frühzeitige Empörung. Sie hielten an der Entscheidung fest. Sie mussten aber dann schmerzlich erfahren, dass „Klickökonomie und Kassenlage“ keine guten Ratgeber für Preisverleihungen sind, wie es Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) ausdrückte.

Wäre ein solcher Eklat bei den Grammys möglich? Über den wohl wichtigsten Musikpreis der Welt entscheiden rund 13 000 Mitglieder der Recording Academy: Sänger, Komponisten, Produzenten, Techniker und andere, die in der Branche arbeiten. Die Vorauswahl treffen etwa 350 Experten, für die jüngste Verleihung wurden Gewinner aus 22 000 Werken gewählt.

Auch beim Oscar ist die Abstimmungsgrundlage breit: Rund 7000 aktive Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences wählen erst die Nominierten und dann die Gewinner. Dabei wird auch die jeweilige Branche berücksichtigt: Kostümdesigner stimmen eher über Kostümdesign ab, Schauspieler über ihre Kollegen. Über die Vergabe der Golden Globes für Film und Fernsehen stimmt dagegen eine kleine Gruppe aus rund 90 ausländischen Journalisten ab.

Anders läuft es bei den Brit Awards, dem großen Musikpreis Großbritanniens. Die Liste der wählbaren Künstler wird von der Official Charts Company (OCC) erstellt, die für Hitparaden zuständig ist. Dafür kommen unter anderem die Interpreten der 1000 meistverkauften Singles infrage. Der Jury gehören mehr als 1000 Vertreter der Musikindustrie, der Medien und die Gewinner des Vorjahres an.

Bei den französischen Filmpreisen César haben mehr als 4200 aktive Mitglieder der Académie des Arts et Techniques du Cinéma das Wort. In einem ersten Wahlgang treffen sie eine Vorauswahl, ein zweiter Wahlgang kürt dann die Sieger in den einzelnen Kategorien. Der Deutsche Buchpreis wird von einer Jury aus sieben Literaturkritikern vergeben, die alljährlich neu bestimmt wird. Die Kritiker schreiben in der Regel für namhafte Medien oder kommen aus dem Buchhandel.

Braucht Deutschland überhaupt noch einen Mukikpreis? Welche Bedeutung kann eine Auszeichnung haben, wenn Musik auf allen Kanälen mit ein paar Klicks oft kostenlos oder gegen wenig Geld fast grenzenlos zur Verfügung steht? „Jedes Land hat einen Preis für die beste und erfolgreichste Musik verdient“, sagt der Musikmoderator Peter Illmann („Formel Eins“). Auch ein neuer Preis sollte sich an den Verkaufszahlen orientieren, eine alleinige Jury-Entscheidung finde er „schwierig“. Aber eine Jury könnte dem nachgehen, „was da eigentlich Erfolg hat“, sagt Illmann.

Dabei werden in Deutschland schon seit mehr als einem halben Jahrhundert die besten Aufnahmen gekürt. Der Preis der deutschen Schallplattenkritik (PdSK), der nach der Gründung 1963 noch vom BVMI-Vorläufer Bundesverband der phonographischen Wirtschaft unterstützt wurde, wird von einem Verein aus 157 Kritikern in 32 Sparten verliehen - von Oper bis HipHop. Der Preis sei von der Musikindustrie unabhängig, sagt die Vorsitzende Eleonore Büning.

Jeder Fachjury gehören fünf Experten an, vierteljährlich erscheinen Bestenlisten, die Kritiker verleihen auch Jahres- und Ehrenpreise. Es sei zwar nicht ehrenrührig, Musiker auch nach dem Publikumserfolg zu prämieren, sagt die Klassik-Expertin Büning. Doch während der Echo ein Marketingpreis der Branche gewesen sei, beurteile der PdSK ausschließlich die Qualität. Die Arbeit sei deswegen auch etwas schwerfällig. „Aber das gewährleistet, dass wir auch genau hinhören.“