Niedecken bezeichnet sich als „melancholische Frohnatur“
Köln (dpa) - „Verdamp lang her“ darf auf keiner 80er-Party fehlen - und auch die Kölschrocker selbst spielen den Hit immer noch gern. In diesem Jahr feiert die Band BAP ihren 40. Geburtstag - mit dem neuen Studioalbum „Lebenslänglich“.
Die Stücke darauf? Natürlich alle „op Kölsch“.
Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht BAP-Gründer und -Sänger Wolfgang Niedecken (64) über die „verdammt lange Zeit“, seinen größten Fehler und gewöhnungsbedürftige Selfie-Situationen mit den Fans.
Frage: Sie singen von Pegida, Kriegen und Flüchtlingen - Ihr neues Album ist im Vergleich zu den vorherigen wieder sehr politisch geworden.
Antwort: Das Album ist zurzeit sowas von aktuell, dass ich mich selbst erschrecke. Aber ich schreibe eben über die Dinge, die mir tatsächlich durch den Kopf gehen. Das, was wir als Künstler zurzeit tun können, ist die Empathie weiter aufrechtzuerhalten. Wir können den Leuten dabei helfen, nicht zu verhärten. Das ist schon ganz schön viel. Also ja: Wenn einen die Politik beschäftigt, werden die Texte anders, als wenn man verliebt ist.
Frage: Einen Song auf Ihrem neuen Album widmen Sie aber doch Ihrer ersten großen Liebe und hoffen, dass sie Sie nicht vergessen hat. Was sagt denn Ihre Frau dazu?
Antwort: Die beiden kennen sich. Wir haben auch ab und zu Kontakt. Das ist kein Problem. Ich kenne auch die Verflossenen meiner Frau. Alles in Butter. Wo soll da das Problem sein?
Frage: Wie sind Sie auf den Alben-Titel „Lebenslänglich“ gekommen? Das klingt fast nach einer Drohung.
Antwort: Es gibt Tage, da ist das Glas halb leer. Und dann ist es tröstlich zu wissen, dass es gestern noch halb voll war. Ich sage mir also: Alter, stell dich nicht so an! In dem Song „Unendlichkeit“ heißt es: Lebenslänglich sucht man Zuversicht. Und das ist es! Wir suchen lebenslänglich Zuversicht, oder wir verzweifeln. Daher kommt letzten Endes auch der Album-Titel. Mein zuversichtlichster Moment war der, als ich 2011 nach dem Schlaganfall aus der Narkose wach geworden bin. Die Ärzte liefen mit Bedenkenträger-Miene herum. Meine Familie war verzweifelt - und ich konnte noch nicht reden, aber ich wusste: Alles wird gut.
Frage: Das heißt, Sie sind ein Optimist?
Antwort: Ich bin da ambivalent. Ich bezeichne mich eher als melancholische Frohnatur.
Frage: Was war musikalisch in 40 Jahren Ihr größter Fehler?
Antwort: Ich habe beispielsweise „Like a Rolling Stone“ von Bob Dylan übersetzt - das Lied, das mich zum Songschreiben gebracht hat. Leider ist es eine furchtbare Version geworden. Im Nachhinein tut mir das natürlich total leid, dass ich das Ding sowas von ruiniert habe. Das Doofe: Es ist auf einem unserer erfolgreichsten Alben drauf, und jeder singt den Text mit. Ich könnte ihn nicht mal verbessern, ohne die Leute zu irritieren.
Frage: „Verdamp lang her“, das Sie Ihrem Vater gewidmet haben, darf bei keinem Konzert fehlen...
Antwort: Das spielen wir alle gern. Ich natürlich besonders, weil an jedem Abend mit „Verdamp lang her“ mein Vater mal kurz vorbeikommt. Dann sehe ich diesen alten Mann mit seinem grauen Kittel und seinem grünen Hut vor mir. Das ist sehr schön!
Frage: BAP hat sich in 40 Jahren verändert, Musiker sind ausgeschieden, andere dazugestoßen. Wie haben sich denn Ihre Fans verändert - außer, dass sie älter geworden sind?
Antwort: Da gibt es tatsächlich etwas: Ich bin es gewohnt, Autogramme zu schreiben. Und während man schreibt, ergibt sich immer ein kleines Gespräch. Die Leute erzählen mir dann meistens, wann sie zum ersten Mal mit BAP in Berührung gekommen sind. Herzerweichende Storys sind das: kennengelernt auf einem unserer Konzerte, zu einem Lied geheiratet. Jetzt werden aber Selfies gemacht, und dabei kann man leider nicht reden. Man muss das Maul halten, sonst verwackelt das Bild. Und dann gehen mir diese schönen Geschichten alle flöten. Jammerschade. Die Leute sind ja dann auch noch nervös, drücken irgendwo falsch, und vergessen dann überhaupt was zu sagen. Katastrophe. Mittlerweile kriege ich es aber hin, dass wir wenigstens danach noch kurz sprechen.
Frage: Sie machen privat keine Selfies?
Antwort: Ich? Ich weiß gar nicht, wie das geht. Ich habe so eine Art Seniorenhandy, auf dem ich angerufen werden kann und mit dem ich telefonieren kann. So ein modernes Ding habe ich immer noch nicht. Da darfste ja vor lauter Touchscreen nichts anfassen. Meine Frau ist diejenige, die mit unseren Töchtern eine Whatsapp-Gruppe hat. Gott sei Dank gibt's sowas. Die würde sonst leiden wie ein Tier. Die eine Tochter studiert in Berlin, die andere in Mannheim.
Frage: Dann können Sie also besser loslassen?
Antwort: Mmmmh, ich weiß ja, dass sie es macht und alles im Blick hat. Ich kann mich ja drauf verlassen.
Frage: Apropos loslassen - was peilen Sie musikalisch an? 50, 60 Jahre BAP?
Antwort: Ende offen. Wenn wir das 50-Jährige schaffen würden, wär ich wenigstens auf schöne Art beschäftigt. Ich fänd's super.
ZUR PERSON: Wolfgang Niedecken, geboren am 30. März 1951 in Köln, ist Musiker, Maler und Autor. Bekannt wurde er mit der Kölschrock-Band BAP - und ist heute das einzig verbliebene Gründungsmitglied. 2011 erlitt Niedecken einen Schlaganfall, von dem er sich aber vollständig erholt hat. Für sein politisches Engagement wurde er 2013 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Der Sänger lebt mit seiner zweiten Frau in Köln, hat zwei Söhne und zwei Töchter.