Musikalische Brücke Orchester in Leipzig und Boston kooperieren

Boston/Leipzig (dpa) - Schon der allererste Chefdirigent des Bostoner Symphonieorchesters hatte Verbindungen nach Leipzig. George Henschel (1850-1934) studierte am Konservatorium in Leipzig, bevor er 1881 das gerade neugegründete Orchester in der US-Ostküstenmetropole übernahm.

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„Es gibt so viele historische Verbindungen zwischen den Orchestern - und wir entdecken ständig mehr“, sagt Andris Nelsons. Seit 2014 ist der lettische Star-Dirigent musikalischer Leiter des Boston Symphony Orchestra, ab der Saison 2017/2018 auch Gewandhauskapellmeister in Leipzig - und Nelsons will die beiden Orchester enger zusammenführen als je zuvor.

„Als wir angekündigt haben, dass Andris neuer Gewandhauskapellmeister wird, haben wir sofort begonnen, mit dem Team aus Boston darüber zu sprechen, was wir machen können und werden“, sagt Gewandhausdirektor Andreas Schulz. Herausgekommen ist eine umfangreiche Kooperation auf vielen Ebenen: Unter anderem gemeinsam in Auftrag gegebene Neukompositionen, Austausch von Musikern, Gastspiele und „Mini-Festivals“ mit Musik, Vorträgen, Filmen und Diskussionsrunden in beiden Städten - eine „Boston-Woche“ in Leipzig und eine „Leipzig-Woche“ in Boston.

„Es gibt in der Welt der Orchester bislang keine solche Zusammenarbeit mit so vielen künstlerischen Elementen, wie die, die wir jetzt kreiert haben und die wir in den kommenden Jahren mit Leben füllen wollen“, sagt Schulz. „Das ist etwas ganz besonderes und wir denken nicht nur an eine Saison, wir denken langfristig für die kommenden fünf Jahre, wir wollen etwas ganz Neues schaffen.“

Die beiden Orchester kennen sich bereits. Nach einem Gastspiel der Musiker aus Boston in Leipzig im vergangenen Mai hätten die Kollegen aus Deutschland an einem freien Tag Touren zu Leipziger Sehenswürdigkeiten für sie organisiert, erzählt Schulz. „Es war eine wunderbare Stimmung, ein sehr offenes Lernen voneinander.“ Der intensive Austausch mit Boston, bei dem die Musiker teilweise mehrere Monate im anderen Orchester verbringen sollen, werde für alle Seiten lehrreich werden. „Es wird eine komplett neue Erfahrung, vielleicht sogar ein positiver Schock, denn das US-System ist schon sehr anders als das europäische.“

Zwischen beiden Orchestern gebe es aber auch viele Ähnlichkeiten, sagt der Manager des Boston Symphony Orchestra, Mark Volpe. „Wenn Andris in Boston den Solo-Musiker vorstellt, drehen die Zuschauer vor Begeisterung fast durch. Und wenn man durch Leipzig läuft, merkt man, dass auch dort das Orchester eine enorme Bedeutung hat.“ Die Bostoner Musiker steckten bereits tief in der Planung für den Austausch, sagt Volpe. „Wir sind alle sehr gespannt und begeistert zu sehen, was daraus wird - besonders in einer Zeit wie der jetzigen, wo es scheint, dass die Menschen eher neue Mauern aufbauen, als sich zusammenzuschließen.“

Gerade angesichts des umstrittenen neuen US-Präsidenten Donald Trump und des daraufhin wachsenden Anti-Amerikanismus in Deutschland, sei die Zusammenarbeit der beiden Orchester ein starkes Zeichen, sagt auch der Musikwissenschaftler Christoph Wolff. „Ein Dirigent, der weder Deutsch noch Amerikanisch, sondern unter dem Sowjetsystem aufgewachsen ist, bringt jetzt ein deutschen und ein amerikanisches Orchester zusammen - das ist ein Zeichen.“

Die Musik habe die Macht, Menschen zusammenzubringen, sagt auch Dirigent Nelsons - aber natürlich sei die Kooperation vor der US-Präsidentschaftswahl und unabhängig davon eingegangen worden. „Wir werden eine musikalische Brücke bauen“, verspricht Gewandhausdirektor Schulz. „Die Zusammenarbeit ist vor Trump entstanden - und sie wird ihn wahrscheinlich überdauern.“