Pop: Ben Folds - Immer drauf auf die Tasten

Ben Folds ist der letzte Songschreiber alter Schule, der sich dem Diktat der Vermarktbarkeit nicht beugen will. Dabei strotzen seine Alben vor lauter Gassenhauern.

Düsseldorf. Der Weg, auf dem Ben Folds an sein erstes Klavier kam, liest sich wie ein Märchen. Oder besser: nach dem ernüchternden Einstieg eines Märchens. Nach ärmlichen Verhältnissen, nach einer Familie, die zusammenhält und nach Tauschgeschäften, die das Schicksal bestimmen. So ähnlich wie bei "Hans im Glück" oder "Tischlein deck’ dich".

Vater Folds, ein Zimmermann, kam berufsbedingt in den 70ern viel rum, hatte Frau und Kinder immer im Schlepptau, zwei bis drei Ortswechsel im Jahr waren keine Besonderheit. Genauso unsicher wie für Familie Folds der Begriff Heimat war die Zahlungsmoral seiner Arbeitgeber.

Als einer der Bauherrn eines Tages nicht flüssig war, überließ er dem hart arbeitenden Handwerker sein Klavier, leicht verstimmt, ansonsten aber unversehrt. Dem kleinen Ben, damals gerade neun, gefiel das Instrument. Tage- und nächtelang saß er an den Tasten, war übers bloße Tonleitern üben schnell hinaus, und bald stand fest: Der Junge wird Musiker.

Dass es doch noch einige Umwege brauchte, bis aus Ben Folds der wahrscheinlich ausgeflippteste, gleichzeitig aber auch versierteste und experimentierfreudigste Songschreiber und Pianopopanz unserer Tage wurde, ist dem klassischen postpubertären Aufbegehren geschuldet. Plötzlich wollte Folds kein Pianist mehr sein. Musik, klar. Aber nicht am spießigen Klavier. Das Schlagzeug, das wuchtige Rhythmusdiktat innerhalb einer Band, interessierte ihn mehr.

Also hielt er sich in den Bands seiner Schul- und Studienzeit eher im Hintergrund, um mit den Stöcken den Takt anzugeben. Darin war er so gut, dass er einen Plattenvertrag bekam, 1990 nach Nashville ging, sich dort allerdings, anstatt an ersten Songs zu arbeiten, als Konzertmusiker verdingte.

Lange ging das nicht gut. Folds schrieb sich an der renommierten Musikhochschule von Miami ein. Seinen Abschluss sollte er nie erhalten. Bei der maßgeblichen Prüfung erschien er mit einem gebrochenen Handgelenk, eine Erinnerung an ein, na sagen wir mal, Handgemenge in der vorangegangenen Nacht auf einer Party. Die Fraktur hielt ihn zwar nicht davon ab, sich ans Schlagzeug zu setzen. Der Kommission reichte es trotzdem nicht. Noch am selben Tag schmiss Folds seine Schlagstöcke in einen See.

So kam er schließlich doch, halb aus der Not geboren, halb aus Trotz, zurück ans Klavier. Schon während seines Studiums hatte er wieder Gefallen daran gefunden, teilweise 18 Stunden am Stück seine Fertigkeiten verfeinert, sich die 88 Tasten regelrecht Untertan gemacht. Die Konzerte, die er mit Kommilitonen gab, verwandelte er in funkensprühende Improvisationssessions.

Dieser Stil, die pure Lust an Melodie, rhythmischer Kraft, auch die Fähigkeit, sich in den herabprasselnden Tonfolgen förmlich verlieren zu können, prägte seine erste Band, die Ben Folds Five. Dabei handelte es sich nicht, wie der Name vermuten ließe, um ein Quintett, sondern, seinem Sinn für Ironie entsprechend, um ein Trio.

Brachial ging es teilweise zu, E-Gitarren waren dabei allerdings verpönt. Dafür suchten sie nach neuen Klangimpulsen, Klezmer-Klarinetten beispielsweise, auch Glockenspiele und Mundorgeln fanden ihren Einsatz. Wichtig war: Es muss mitreißend klingen, die zugrundeliegende Melodie eingängig nachhallen, allerdings ohne Stromlinien-Pop zu sein. Entsprechend sprühen die Songs wie ein ausuferndes Feuerwerk.

Seit 2001 ist Folds alleine unterwegs, seinem Stil ist er weitgehend treu geblieben, vielleicht etwas ruhiger geworden, dafür aber in Sachen E-Gitarre nicht mehr dogmatisch ablehnend. "Way To Normal" ist sein drittes Solo-Album, energiegeladen ragen die Piano-Soli zwischen den klassischen Songpassagen und der jungenhaften Stimme des 42-Jährigen heraus.

Auch wenn es Studioaufnahmen sind, spürt man bei Folds die Energie, die flirrende Begeisterung für seine Musik. Nicht selten kommt es vor, dass er sich während eines Konzerts einen Finger bricht, so inbrünstig bearbeitet er die Tasten. Passiert ihm das, spielt er natürlich trotzdem weiter. Für die Musik. Wofür auch sonst!