Pop: James Blunt - Neues vom Hochzeitssänger

Auf „All The Lost Souls“ traut sich James Blunt heraus aus seiner wohligen Alltagsmelancholie und versucht sich erfolgreich an etwas sonnigeren Tönen.

Düsseldorf. James Blunt gibt wahrscheinlich erst Ruhe, wenn zu allen erdenklichen Anlässen weltweit seine Songs gespielt werden. In seiner Heimat England beispielsweise hat sein Hit "You’re Beautiful" mittlerweile Robbie Williams’ "Angels" den Rang als beliebteste musikalische Untermalung einer Hochzeitszeremonie abgelaufen. "High" wiederum, seine Debüt-Single aus dem Jahr 2004, die erst durch den Einsatz im Werbespot eines Mobilfunkanbieters zu einem Airplay-Hit wurde, ist gern genommene Zäsur-Hymne bei Abschlussbällen oder Examensfeiern. Und "Goodbye My Lover" spielt das Kopfkino sämtlicher Jungverliebter, sobald sich eine Trennung vom Liebsten abzeichnet. Blunt ist scheinbar überall. Allerdings nur scheinbar. Denn die restlichen, von ihm bislang unbehelligten Lebensbereiche stehen erst jetzt, mit Erscheinen seines zweiten Studioalbums, kurz vor ihrer Eroberung. "All The Lost Souls", so der Titel, ist wahrscheinlich die spannendste CD-Veröffentlichung dieses Jahres. Blunt muss beweisen, dass er keine aufgeplusterte Eintagsfliege ist. Doch selbst diese Hypothek, der erdrückende Erfolg von "Back To Bedlam" und des simplen wie effektiven Tränenziehers "You’re Beautiful", dessen Dauereinsatz an Lärmbelästigung grenzte, scheint den 33-Jährigen nicht zu beeindrucken. Pausenlos war er seit seinem Durchbruch im Sommer 2005 auf Tour, drehte düstere, symbolschwangere Videos und gab in zig Interviews langweilige Antworten auf zugegebenermaßen noch langweiligere Fragen.

Dem Familiensegen zuliebe ging er zunächst zum Militär

Höhepunkt dieser halbherzigen Versuche, ihm etwas Gehaltvolles zu entlocken, war ein Gespräch mit einer großen Sonntagszeitung, in dem Blunt den Interviewer wissen ließ, nicht dazu bereit zu sein, dessen Drogenprobleme zu diskutieren. Grund für seine feindselige Unleidlichkeit war der Hinweis des Fragenstellers, dass "Blunt" im englischen Slang auch "Joint" bedeuten würde. Die Botschaft ist angekommen: Er will Musik machen und ansonsten in Ruhe gelassen werden. Ein Eigenbrötler war er schon immer, wusste im Alter von sieben, dass er einmal Musiker werden wolle. Aber dem Familiensegen des Hauses Blount zuliebe, auf dessen irreführendes "o" im Nachnamen er als Musiker verzichtet, ging er erstmal zum Militär, studierte nebenher und diente danach vier Jahre lang, zunächst als Blauhelmsoldat im Kosovo, danach bei weniger risikoreichen Einsätzen, beispielsweise als Sargträger von Queen Mum. Es gibt einige Videoaufnahmen von Captain Blunt, etwa kurz bevor er mit der Truppe in Pristina einmarschiert, der Gesichtsausdruck reglos, nicht unfreundlich, aber auch keine Spur von Angst oder Demut erkennbar. Blunt meißelte bereits damals am Image des mild lächelnden Orakels, das seine Gefühle nur in seinen Songs preisgibt. Auch im Video zu "1973", der ersten Single aus dem neuen Album, flaniert er in Zeitlupe über eine belebte Kneipenstraße und verzieht zur melancholischen Rückschau auf eine Teenagerliebschaft keinen Millimeter seiner Gesichtsmuskulatur. Es ist eine ruhelose Ballade, ein kurzes Balancieren zwischen Schwermut und abgeklärter Gelöstheit im weitläufigen Uptempo-Sound, mit dem die Eagles in den 70ern Country und Rock ineinanderfließen ließen.

Das Album ist eine streckenweise erhabene Traumtänzer-Symphonie

Insgesamt ist Blunts Musik aufgeweckter geworden. Er verlässt sich nicht mehr alleine auf seine durchdringende Kopfstimme, die immer knapp vor dem Falsett verharrt. Mild arrangierte Backgroundchöre, satte Gitarrenriffs und kleine, geschickte Reminiszenzen an Songwriter-Legenden wie James Taylor oder Gilbert O’Sullivan machen aus seinem zweiten Album eine streckenweise erhabene, sogar leicht sonnige Traumtänzer-Symphonie. Einzeln versprengt tauchen die tristen Trauer-Tracks zwar noch auf, bleiben in deutlicher Unterzahl allerdings erträglich. Und so kann man jetzt schon darauf wetten, welche Songs zukünftig als Soundtrack rührseliger Dia-Retrospektiven (Tipp: "Shine On") oder ausklingender Partyabende ("Carry You Home") dienen werden. Es wird in den kommenden Monaten auf jeden Fall noch viel von James Blunt zu hören sein. Diesmal fällt es allerdings wesentlich leichter. All The Lost Souls Kurzkritik Es ist ja eigentlich erstaunlich, dass ein eher angepasster Musiker wie James Blunt dermaßen polarisieren kann: Die einen lieben seine unverstellte Verletzlichkeit, die anderen halten ihn für einen nervtötenden Jammerlappen. Fakt ist, dass sein neues Album beiden Lagern wieder Vorschub leisten wird. Denn mit getragenen Stücken wie "Shine On" oder "Carry You Home" wandelt er stilsicher auf den ausgetretenen Pfaden seines Überhits "You’re Beautiful". Ein Großteil der neuen Songs ist allerdings wohl temperierter Westcoast-Rock, der mit Soulanleihen ("I’ll Take Everything") und vertrackten Rhythmus-Spielereien ("I Really Want You") aufwartet.

Highlights "One of the Brightest Stars" ist schwelgerischer Songwriter-Pop im scheppernden 70er-Gewand. "Give Me Some Love" klingt wie die frühe, also nachhaltig gute Phase der Eagles.