Retro-Pop mal anders: Klasse-Album von Gemma Ray
Berlin (dpa) - Gemma Ray tut sich schwer mit Vorbildern und Vergleichen. Aber wenn schon, dann ist ihr die Sixties-Ikone Nancy Sinatra näher als die derzeit weltweit erfolgreichen Popstars Lana Del Rey oder Adele.
„Ja, Nancy ist ein Einfluss, ich mag die Art, wie ihre Musik damals produziert wurde“, sagt sie im Interview der Nachrichtenagentur dpa. „Mit den anderen habe ich eigentlich nichts gemeinsam.“ Die Britin könnte mit ihren eleganten Cinemascope-Songs auf der einträglichen Retro-Welle surfen, doch sie spielt das Kommerz-Spiel nicht mit.
Auch das neue Album „Island Fire“ wird bei aller Eigenständigkeit und Virtuosität wieder manch unpassende stilistische Einordnung provozieren. „Stell Dir eine Norah Jones mit den Drogen von Amy Winehouse vor“, so versuchte es vor einigen Jahren das britische Pop-Magazin „Q“. Gemma Ray nimmt es mit Humor: „Die lustigen Vergleiche sind ja eigentlich die besten.“ Aber die 31-jährige Sängerin und Gitarristin will zu ihren ureigensten Bedingungen den Durchbruch schaffen - ein Querkopf mit hohen Qualitätsstandards.
Statt in der langjährigen Heimat und Pop-Metropole London nahm Gemma Ray ihr viertes Album in Australien und Norwegen auf, ihren Wohnort verlegte sie schon vor eineinhalb Jahren nach Berlin. Dort wohnt sie derzeit im kunterbunten Stadtteil Kreuzberg und genießt die Unabhängigkeit von irgendwelchen modischen Musik-Szenen.
„Ich fühle mich in einer Stadt gern verloren, in Berlin zwischen all dieser Riesenarchitektur. Außerdem kann man sich Berlin als Musiker noch leisten“, begründet die dunkelhaarige Schönheit den Wohnortwechsel. An die für ihren herben Charme berühmt-berüchtigten Hauptstädter musste sie sich auch nicht allzu lange gewöhnen: „Ich mag diese Schroffheit, die ist mir viel lieber als falsche Freundlichkeit.“ Dass Gemma Ray in Berlin tolle Musiker wie Nick Caves Schlagzeuger Thomas Wydler zu Aufnahme-Sessions treffen konnte, trug ebenfalls zum Wohlbefinden bei.
So entstand an der Pop-Peripherie eines der selbstbewusstesten Retro-Alben der vergangenen Jahre. Orchestrale, aber niemals kitschige Streicher- oder Bläser-Arrangements (Anspieltipp: „Make It Happen“) und wuchtig nachhallende Twang-Gitarren tragen Gemma Rays eindrucksvolle Stimme. Das romantische „Rescue Me“ erinnert an die Girlgroups der 60er Jahre, der Pop-Walzer „They All Wanted A Slice“ bohrt sich schon beim ersten Hören unaufhaltsam ins Ohr.
Die Eigenkompositionen sind eine Klasse für sich - fast noch spektakulärer klingen aber zwei als Bonus-Songs mitgelieferte Cover-Versionen. In der Kooperation mit den Brüdern Russell und Ron Mael alias Sparks wurde für Gemma Ray ein Traum wahr. Als langjähriger Sparks-Fan kontaktierte sie die beiden nicht mehr ganz jungen US-Pop-Legenden, traf sie in Los Angeles und stellte begeistert fest: „Die wirken heute noch frischer als alle anderen Musiker unter 25. Das war eine interessante Erfahrung - mit seinen Idolen zusammenzuarbeiten.“
Die brillanten Interpretationen der Sparks-Hits „How Do I Get To Carnegie Hall?“ und „Eaten By The Monster Of Love“ beschließen ein Album, das einen spannenden Mittelweg zwischen Retro-Trend und Moderne findet. Gut möglich, dass diese vielschichtige Popmusik demnächst selbst für Vergleiche herangezogen wird. Wenn es dann heißt „Klingt wie Gemma Ray“, ist das ein Kompliment.