Sänger Maximilian Hecker im Interview: „Endlich darf ich hässlich sein“

In Asien wird der Sänger Maximilian Hecker wie ein Popstar gefeiert. In Deutschland sind die Fans misstrauisch. Ein Gespräch über Liebe, Verletzlichkeit und Heilung.

Foto: Maximilian Hecker

Düsseldorf. Herr Hecker, ich würde gerne einem Geheimnis auf die Spur kommen: Wer ist Maximilian Hecker?
Maximilian Hecker: Die Frage impliziert, dass es verschiedene Bilder von mir gibt.

So ist es.
Hecker: Nach der anfänglichen Euphorie, als ich als der deutsche Vertreter der „Quiet is the New Loud“-Bewegung gefeiert wurde, ist die Stimmung gekippt ist. Seitdem werde ich mit dem Vorwurf konfrontiert, ein Aufschneider zu sein, der mit gefühlvollen Klängen die Mädchenherzen erweichen will — aber das bin ich nicht. Die romantische Nummer ist keine Nummer. Ich meine es ernst.

Ich frage, weil es einen Widerspruch zu geben scheint zwischen der Person auf der Bühne und dem Musiker, den man auf den Alben hört.
Hecker: In meinem Privatleben und auf der Bühne bin ich in der Tat von Ironie und Sarkasmus durchsetzt. Aber das trifft auf keinen Fall auf meine Musik zu. Insofern gibt es da schon zwei Persönlichkeiten, aber beides bin ich. Ich bin sowohl der Clown als auch der junge Werther.

Du bezeichnest dich selbst als Liebesbulimisten. Was genau meinst du damit?
Hecker: Mein Verhältnis zur Liebe ist das eines Süchtigen, der versucht, sich die Droge einzuverleiben und wieder loszuwerden. Ich versuche, meine hyperromantische Vorstellung von der Liebe zu erleben, fresse sie förmlich in mich hinein und kotze sie wieder aus, weil ich feststelle, dass ich gar nicht mit der Liebe umgehen kann — mit der Realität von Liebe.

Schreibst du deshalb so viele Liebeslieder? Als Therapie?
Hecker: Ich habe festgestellt, dass wenn man einer schmerzhaften Situation einen Text oder eine Melodie entgegenstellt, sie ihren Schmerz verliert, wenigstens vorübergehend. So eine Art der Therapie gibt es tatsächlich. Aber ich glaube, dass die Musik für mich eher ein Partnerersatz ist, in der ich die Themen Sehnsucht und Liebe ausleben kann. In der Traumwelt finde ich Erfüllung. Im Alltag gelingt mir das leider noch nicht.

Ist es gefährlich, sich in der Musik so offen und verletzlich zu zeigen?
Hecker: Ich habe nicht das Gefühl, mich angreifbar zu machen, jedenfalls nicht in der Musik. Die Texte sind zwar persönlich, aber häufig überhöht oder lyrisch verfremdet und handeln auch nicht zwangsläufig von mir. Was meine Musik angeht, empfinde ich Selbstbewusstsein. Die Lieder sind meine starke Seite, der Anteil, bei dem ich mit mir im Reinen bin.

Dein neues Album heißt „Spellbound Scenes of My Cure“, bezaubernde Szenen meiner Heilung. Gleichzeitig handeln viele Stücke vom Verlassenwerden. Wie passt das zusammen?
Hecker: Naja, es geht darum, dass ich jemanden verlasse, nicht, dass ich verlassen werde. In fast schon autistischer Art und Weise singe ich die Zeile „I’ll deceive you, I will leave you“. Es geht also nicht um den Schmerz des Verlassenwerdens, sondern um die Rückgewinnung von Freiheit.

Die zehn Stücke sind beeinflusst von verwunschenen Orten. Du selbst sprichst von „Off-Broadway-Orten“ wie Kastrup in Dänemark. Welchen Einfluss haben diese Orte auf deine Musik?
Hecker: Keinen direkten. Die Musik kommt irgendwann. Im Fall von Kastrup oder Henningsdorf definiert der Text den Ort. Texte zu schreiben ist bei mir ein rationaler Prozess, der an Hausaufgaben erinnert. Ich muss mich dazu zwingen, aber dann merke ich, dass die Lieder dadurch eine Tiefe gewinnen, die sie vorher noch nicht hatten. Das assoziative, kindliche, magische Element ist jedoch die Musik. Häufig sind die Lieder für mich längst abgeschlossen, obwohl der Text noch gar nicht fertig ist.

2012 und 2013 hast du Silvester ganz allein in einem Hotelzimmer in Henningsdorf bei Berlin verbracht und dort deinen zweiten Frühling erlebt. Was heißt das?
Hecker: Die Idee war, dass ich nicht dazu verdammt sein wollte zu feiern, obwohl mir gar nicht danach zumute war. Ins Hotel zu gehen, das außerhalb von Henningsdorf liegt, noch dazu in einem Industriegebiet, war für mich die konsequenteste Form der Verweigerung. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich zuvor schon in Kastrup. Ein Ort, der so schäbig ist, dass ich mir sicher sein kann, dass niemand anders dort ist. Die äußerliche Kargheit und Hässlichkeit dieses Ortes führte dazu, dass ich innerlich regelrecht aufgeblüht bin. Unter Leuten leide ich unter Selbstzweifel. Aber an einem Ort wie dem Parkhaus von Henningsdorf, der nur mir gehört, wo es keine Verhaltensnormen gibt, mache ich den Ort zu meinem. In diesem Moment bin ich ganz bei mir. Ich empfinde Liebe für mich selbst. Deshalb habe ich angefangen, mich an den Orten zu filmen, um den Moment der Euphorie einzufangen. Ich sehe zwar keineswegs vorteilhaft aus, aber mir kommen fast die Tränen, weil ich mir endlich erlaube, so hässlich zu sein, wie ich tatsächlich bin.

In den Kurzfilmen, die zu dem Album entstanden sind, wirkst du verloren.
Hecker: Das alte Thema: Ich und die anderen. Um es mit Woody Allen zu sagen: Ich möchte nie zu einer Gruppe gehören, die mich als Mitglied haben möchte. Ich zelebriere das Außenseiterdasein, das Einsamer-Wolf-Dasein. Das Nicht-Dazugehören ist ein wichtiges Thema, auch in meiner Musik. Wahrscheinlich stelle ich in den Filmen unterbewusst meine Vorstellung von mir selbst da. Aber mir war wichtig, dass ich keine Rolle spielen muss. Das war eine echte Befreiung.

Du bist in der Provinz aufgewachsen, dann nach Berlin gezogen und hast eine Zeit lang in Tokio gelebt. Wäre es für dich vorstellbar, eines Tages in die Provinz zurückzukehren und vielleicht sogar glücklich zu werden?
Hecker: Henningsdorf und Kastrup stellen für mich keine Rückbesinnung auf Heimat oder die Provinz dar. Vielmehr ist es eine Koketterie mit dem sozialen Selbstmord. Für mich sind Kastrup und Henningsdorf so etwas wie der Vorhof zur Hölle: Limbus. Der Ort, an dem man sich im Schnee auf die Erde legt und erfriert und selig ist, weil man endlich befreit ist und die Seele zum Himmel schwebt. Ein Ort der Erlösung.