Santana: Mit Leidenschaft zurück zu den Wurzeln

Berlin (dpa) - Wenn Carlos Santana über sein aktuelles Album spricht, ist viel von der „Chemie“ unter Freunden die Rede. Auch von Magie und dem „Vibe“ und immer wieder vom Spaß am Musikmachen mit den ältesten Kumpels.

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Die Euphorie des deutlich jünger wirkenden 68-Jährigen über seinen Alterswerk-Coup ist verständlich. Denn Santana, dieser geniale Gitarrist, Erfinder des Latin-Rock und mehrfache Grammy-Preisträger, hat für seine neue Platte noch mal die klassische, für viele Fans bis heute einzig wahre Bandbesetzung der ersten Jahre zusammengetrommelt.

Als Fortführung der berühmten Karrierestart-Trilogie „Santana“ (1969), „Abraxas“ (1970) und „Santana III“ (1971) heißt das 75-Minuten-Album „Santana IV“. Es knüpft schon rein optisch beim aggressiven Löwenkopf-Cover des Debüts an - mit einem zähnefletschenden Tiger. Doch damit enden die Verbindungen zur glorreichen Vergangenheit glücklicherweise nicht. Nach all den rasch wechselnden Band-Lineups des mexikanischstämmigen US-Amerikaners, nach vielen Zugeständnissen an den Kommerz, nach allzu glatten, schwachen, gleichwohl sehr erfolgreichen Platten - hier gibt es endlich wieder den reinen, heiß brodelnden Santana-Stoff.

Verehrern der vor 47 Jahren mit einem Sensationsauftritt in Woodstock bekanntgewordenen Band dürfte bei diesen Namen das Wasser im Munde zusammenlaufen: Neben dem Meister selbst an der unnachahmlichen, in Balladen so wunderschön weinenden Gitarre treten die Veteranen Gregg Rolie (Leadgesang, Keyboards), Michael Shrieve (Schlagzeug), Neal Schon (Gitarre) und Michael Carabello (Percussion) an. Da hat man doch sofort wieder die frühen Santana-Klassiker im Ohr - vor Energie und melodischem Reichtum nur so berstende Songs wie „Evil Ways“, „Jingo“ oder „Samba Pa Ti“.

Es war Neal Schon, der mit hartnäckigem Stalking den Anstoß zur Reunion gab, erzählt Santana im Interview. „Er tauchte eineinhalb Jahre lang überall auf, wo ich rumlief, wirklich überall!“ Nun gibt es viele schlimme Beispiele von alternden Musikern, die nach einem ausschweifenden Rockstar-Leben Geld für die Rente brauchen und daher auf Wiedervereinigungs-Ideen kommen. Bei „Santana IV“ weicht dieser Verdacht schon mit dem groovenden Afro-Soul-Opener „Yambu“, und er taucht bis zum Abschluss mit der monumentalen Gitarren-Elegie „Forgiveness“ auch nie wieder auf.

Am Ende seines siebten Lebensjahrzehnts wirkt Carlos Santana wie befreit von dem Druck, der sich seit dem Welterfolg des All-Star-Albums „Supernatural“ von 1999 (rund 20 Millionen verkaufte Tonträger) aufgebaut hatte. Denn die neue Platte erscheint auf dem eigens gegründeten Kleinlabel Santana IV. Der Gitarrist gibt hier so selbstbewusst wie kollegial den Frontmann, der nichts mehr beweisen muss und daher auch kein eitles Virtuosentum nötig hat.

Manche Sounds und Melodieeinfälle sind natürlich bestens bekannt aus dem riesigen Santana-Fundus, doch sogar die Selbstzitate klingen noch fast so frisch wie vor 45 Jahre: etwa der Latin-Kracher „Shake It“, die an den ewigen 70er-Jahre-Hit „Black Magic Woman“ erinnernde Samba-Dynamik von „Anywhere You Want To Go“, die prachtvolle Schnulze „Suenos“.

Und doch, „Santana IV“ hat auch Unerwartetes zu bieten: etwa die über sieben Minuten mäandernde Psychedelia-Exkursion „Fillmore East“ (eine Hommage an den legendären Rock-Tempel in New York), oder zwei Gastauftritte des großen Funk- und Soulsängers Ronald Isley, mit dem Santana an einem gemeinsamen Album arbeitet („Es wird unglaublich!“).

Ein „Malen nach Zahlen“, ein Verharren auf der sicheren Seite ist das also nicht. „Ich glaube, wir haben etwas sehr Seltenes geschafft“, sagt der Gitarrenrock-Pionier stolz über eine Platte, die zu den besten einer langen Karriere zählt. „Die Musik hat danach geschrien, dass wir sie rausließen. Hier ging es aber nicht um Nostalgie. Es ging um Leidenschaft.“ Und das kann man hören.