Sea + Air liefern Soundtrack zur Krise Europas

Berlin (dpa) - Das Album beginnt beruhigend, mit dem Geräusch von Wellen und Wind, Meer und Luft - eine zarte akustische Anspielung auf den Bandnamen Sea + Air. Doch dann treten gespenstische Sirenenstimmen und ein bedrohlich pochender Rhythmus hinzu.

Sea + Air liefern Soundtrack zur Krise Europas
Foto: dpa

Eleni Zafiriadou und Daniel Benjamin singen von Heimatlosigkeit und Sehnsucht nach dem unwiederbringlich Verlorenen. Etwas Düsteres, Ungemütliches geht von „We All Have To Leave Someday“ aus - so einschmeichelnd dieser Song eigentlich auch ist.

Der erste Eindruck täuscht nicht: „Evropi“ von Sea + Air ist ein den Hörer herausforderndes Konzeptalbum über einen Kontinent in Unruhe. Und ein künstlerischer Triumph. Wie der Schwabe Benjamin (36) und seine griechischstämmige Ehefrau (34) ihre Eindrücke einer dreijährigen Europa-Tournee mit einer fast hundertjährigen Familiengeschichte verflechten, das ist nicht nur im deutschen Pop-Maßstab großes Kino (hier passt der Begriff endlich mal).

In zwölf Songs bieten Sea + Air alles auf, was ihnen nach 15 gemeinsamen Jahren als stets neugierige Musiker zur Verfügung steht: das klassische Rock-Instrumentarium Gitarre/Bass/Schlagzeug, dazu Keyboards, ein kleines Streicher-Ensemble, aber auch Cembalo, griechische Lyra und Bouzouki. Umso erstaunlicher, dass diese Lieder zwar üppig produziert und melodisch ausgefeilt klingen, aber nie aufgeblasen-bombastisch oder hohl.

Selbst der dramatische Schlüsselsong „Lady Evropi“ macht da keine Ausnahme, er verbindet die Schwere eines Orchester-Arrangements mit der Leichtigkeit einer hübschen Piano-Melodie. Und ans Ende der musikalischen Reise durch ihr schwieriges Heimatland Europa haben Benjamin und Zafiriadou zwei wunderschöne Lieder der Hoffnung gesetzt: „We Understand You“ trägt das Tröstende schon im Titel, und „You Are“ ist, wie der Songwriter aus Frickenhausen bei Stuttgart ohne Pathos sagt, „ein Liebeslied an die Liebe“.

„Evropi“ sollte, das betonen beide Musiker im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, „kein politisches Album“ sein. Aber es nimmt das gesellschaftliche Klima, in dem sie ihre 21 Gastländer bei rund 600 Konzerten vorfanden, sensibel auf und verarbeitet diese Stimmungen zu hochmelodischen, auch mal sperrigen Popsongs. „Ich mag den Gedanken, dass Europa eine Art Liebesbeziehung ist“, sagt Daniel Benjamin. „Der Kern von "Evropi", die Idee dahinter könnte sein, Politik und Finanzwesen einfach mal wegzuschieben und sich auf die Menschen in Europa zu konzentrieren.“

Die auf einen Krieg zusteuernden Ukrainer, die gegen Armut und Hoffnungslosigkeit rebellierenden jungen Portugiesen, die ähnlich verzweifelten Griechen in „Grexit“-Turbulenzen - diese Menschen haben das Paar tief beeindruckt und zu enorm bildstarken Texten inspiriert. Die Aktualität hinterlegten Sea + Air mit Schicksalen von Eleni Zafiriadous Vorfahren: „Ich habe ein bisschen in meiner eigenen Familiengeschichte gekramt und meine Großmutter gefragt: Wie war denn das damals? Das ging dann zurück bis zur Vertreibung der Griechen aus Kleinasien in den 1920er Jahren“, erzählt sie.

Eine so makellos durchgestylte Platte inklusive perfekter Harmoniegesänge ist natürlich keine zufällige Großtat. Die seit gut zehn Jahren verheirateten Benjamin und Zafiriadou machten schon Musik mit der Indierock-Band Jumbo Jet, zwischenzeitlich auch unter seinem bürgerlichen Namen. „Ich würde sagen, Daniel ist der Komponist, der alles überblickt, und ich arbeite an den Details“, sagt sie lächelnd. „Und Eleni ist auch dafür da, meinen Größenwahn in Zaum zu halten“, fügt er breit grinsend hinzu.

Ein bestens funktionierendes Künstler-Duo, ganz offensichtlich. Dem erstaunlichen Debüt „My Heart's Sick Chord“ (2012) lassen die beiden nun ein herausragendes Werk folgen, dem man Vorbilder wie Peter Gabriel oder Kate Bush zwar noch anhört, das aber vor allem nach Sea + Air klingt. „Mir war es wichtig, eine eigene Stimme zu finden, wegzukommen von diesem Gefälligen. Denn das langweilt mich“, sagt Eleni Zafiriadou. Und Daniel Benjamin ergänzt: „Ich denke, dass unsere Musik schon ziemlich einzigartig ist. Wir sind nicht die deutsche Variante von irgendetwas, das es schon gibt.“

Special-Release-Shows im August: 21.08. Tübingen, Sudhaus Waldbühne - 24.08. Berlin, Klunkerkranich - 25.08. Hamburg, Uebel & Gefährlich (Dachterrasse) - 26.08. Köln, Yuca - 27.08. München, Cord Club

Im November gehen Sea + Air dann auf große „Evropi“-Tour, die am 4.11. in Stuttgart startet.