Soulsängerin Emeli Sandé: Frau Doktor lässt den Vamp raus

Aufgepasst, es geht auch ohne Schmelz: Die Schottin Emeli Sandé beweist auf ihrem fulminanten Debüt, dass man dem Soul immer noch neue Seiten abgewinnen kann.

Düsseldorf. Wie die Zeiten sich ändern: Vom jungen Mädchen mit den dunkelbraunen Löckchen und der hausbackenen Strickjacke in Beige ist nichts geblieben.

Heute trägt Emeli Sandé ein Kleid aus schwarzen Rosen, das ihren Körper umfängt wie der Fledermausanzug den Superhelden Batman. Die Seiten ihres Kopfes sind raspelkurz rasiert. Ihr blondiertes Haupthaar züngelt wie eine Stichflamme nach oben. Das Mädchen war früher. Heute spielt Emeli Sandé den Vamp. Den Soul-Vamp.

Dass es soweit kam, ist schon irgendwie kurios. Gerade einmal zweieinhalb Jahre liegen nämlich zwischen jenem Video auf der Internetplattform „Deadline News“, das die damalige Gelegenheits-Songschreiberin kurz nach Abschluss ihres ersten Plattenvertrages zeigt, und dem Coverfoto ihres jetzt veröffentlichten Debütalbums „Our Version Of Events“.

Zudem kommt Emeli Sandé (gesprochen „Sändäi“) weder aus den Glanz-und-Glamour-Metropolen New York und Los Angeles, noch aus den Soul-Geburtsstätten Detroit und Memphis — sondern aus Aberdeen. Das liegt an der Ostküste Schottlands und ist bekannt für sein raues Klima, für Bohrinseln und Fußball.

Manchester-United-Trainer Sir Alex Ferguson begann hier beim FC Aberdeen seine Fußballer-Karriere. Die Dudelsack-infizierten Highlands sind nicht allzu weit. Und dann ausgerechnet Soul?

Es ist ihr Vater, der sie prägt: Der mit einer Engländerin verheiratete gebürtige Sambier ist Chorleiter und bringt der Tochter schon in jungen Jahren das Singen und das Spielen von Klarinette und Klavier bei. Und er schürt mit seiner Plattensammlung Emeli Sandés bis heute gültige Liebe zu Musikerinnen wie Nina Simone, Joni Mitchell oder Lauryn Hill, die den Soul, Blues, Hip-Hop und Folk prägten.

Bereits zu Schulzeiten schreibt Emeli Sandé eigene Songs. Während des Medizinstudiums in Glasgow — das sie abschließt, um etwas Vernünftiges in der Hinterhand zu haben, wie sie selber sagt — kann sie damit nicht aufhören.

Im Gegenteil: Sie betreibt diese Passion neben der Profession derart ernsthaft und gut, dass sie für Grime-Musiker (die Elektronik mit Hip-Hop und Soul mischen) die Gastsängerin gibt und den Szenestars Chipmunk und Wiley deren Erfolgssongs „Diamond Rings“ (2009) und „Never Be Your Woman“ (2010) komponiert.

Der Rest ist bekannt: neugierige Plattenbosse, Rosenkleid, neue Frisur. Und ein Album, das in Großbritannien gleich auf Platz eins der Charts einstieg, der Künstlerin jüngst einen „Brit Award“ in der Kategorie „Critic’s Choice“ (Preis der Kritiker) einbrachte.

Und dessen erste Singleauskopplung „Heaven“ den Erfolg auch über die Nordsee hinweg auf den europäischen Kontinent trägt — mit einem famosen Schlagzeug-Breakbeat und einer mit Hall unterlegten Stimme, die keinen Zweifel daran lässt, dass sie alles auf einmal will und kann: flehen, fordern, wispern, schreien — leise, laut, tief, hoch.

Das Album, an dem unter anderem auch Naughty Boy und Alicia Keys mitarbeiteten, überzeugt neben wenigen verzichtbaren Balladen mit einem Neo-Soul, der nicht weiter entfernt sein könnte von der Retro-Attitüde, mit der Adele und Duffy die vergangenen Chartsjahre dominierten. Er bedient sich vielmehr dezent am Hip-Hop, am dunkel-trägen Trip-Hop sowie an Spielarten elektronischer Musik.

Und er ist an Texte gekoppelt, die alles andere als 08/15 sind. Beispiele gefällig? Bitteschön. In „Hope“ singt Sandé beispielsweise „I hope that the world stops raining“ (Sinngemäß: „Ich hoffe, dass der Regen auf der Welt aufhört.“).

Oder auf dem Track „Heaven“: „I try to keep my heart clean, but I can’t get it right. I wake with good intentions, but the day always lasts too long“ (Sinngemäß: „Ich versuche, aufrichtig zu bleiben, aber es klappt nicht. Ich beginne den Tag mit den besten Absichten, aber er dauert immer zu lang.“). Sandé schreckt auch vor düsteren Zeilen nicht zurück.

All das macht „Our Version Of Events“ vor allem zu einem: zu einem Statement. Zum Statement einer Musikerin, die hoffentlich weiterhin Musikerin bleibt, statt Ärztin zu werden. Und die zeigt, wie man dem Soul eine moderne Seele schenken kann.

Warum das funktioniert? Vielleicht liegt’s ja doch irgendwie an Aberdeen, dieser Öl- und Fußballstadt. Weil ihre Granithäuser bei Sonnenschein wie Silber glitzern, heißt sie im Volksmund auch „Silver City“ — und trägt damit das dramatisch Schöne verborgen in sich. So wie das unscheinbare Lockenkopf-Mädchen von damals.

Termin: 29.3., 20 Uhr, Köln, Gloria