Tom Odell: Prächtig perlender Piano-Pop
Eine Portion Melancholie haben alle seine Lieder. Das kommt an. Für den Briten Tom Odell geht es derzeit steil nach oben.
Düsseldorf. Jake Bugg ist ihn bereits 2012 gegangen, den Weg des Hypes und des großen Erfolgs. Landsmann Tom Odell folgt ihm in diesem Jahr. Er ist der nächste Pop-Durchstarter von den britischen Inseln, der mit hochwertiger Musik abseits der Casting-Formate überzeugt.
Das, was Bugg 2012 erreicht hat (unter anderem Platz eins der englischen Albumcharts), steht Odell größtenteils noch bevor. Dabei sind die beiden so verschieden. Wo Bugg in seinen Liedern mit Mundharmonika und Gitarre den neuen Dylan gibt, ist sein Klavier das Herzstück von Odells Musik. Mit prächtig perlendem Piano-Pop geht es für ihn derzeit nach oben.
Nachdem das Label von Lily Allen („In The Name Of“) ihn unter Vertrag genommen hatte, nahm er 2012 die EP „Songs From Another Love“ auf. Die BBC nominierte ihn für ihre Erfolg versprechende Liste „Sound of 2013“, und am 10. Januar wurde er als Nachfolger von Adele, Ellie Goulding und Emeli Sandé mit dem Kritikerpreis der renommierten Brit Awards ausgezeichnet.
Das schmachtende „Another Love“ ist Werbe-Song einer Telekom-Kampagne, Burberry nutzt seine Lieder für Modenschauen. Gestern ist sein Debütalbum „Long Way Down“ erschienen. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für größeren Erfolg.
Doch von vorn: Der 22-jährige Blondschopf wuchs im südenglischen Chichester auf und erhielt eine klassische Ausbildung am Klavier. Seine musikalische Kindheit war jedoch eher von Elton Johns „Goodbye Yellow Brick Road“ als von Chopin geprägt. Dieses Album sei das erste gewesen, das er als Ganzes wahrgenommen habe — und sogar Anlass für den nächsten Schritt:
Bereits mit 13 versuchte Odell, erste eigene Songs zu schreiben. Fünf Jahre später zog er ins benachbarte Brighton mit seiner lebendigen Kulturszene, die in der jüngeren Vergangenheit Bands und Musiker wie The Kooks, Blood Red Shoes, Fatboy Slim und The Go! Team hervorgebracht hat.
Für Odell das passende Pflaster. Nicht nur, dass er mit neuen Songs durch die heimischen Clubs tingelte. Demütigend, aber lehrreich war das, erinnert er sich heute. „Ich habe gelernt zu performen und welche Lieder gut ankommen.“
Auch erweiterte Odell in Brighton seinen musikalischen Horizont. David Bowie, James Blake, Beach House, Arcade Fire und Cat Power lagen jetzt direkt neben seinen alten Weggefährten von Elton John über Billy Joel bis zu Randy Newman. Seine eigene Musik indes ist stets — mal mehr, mal weniger — klassischer Piano-Pop mit großen Gesten.
Der an manchen Stellen bemühte Vergleich mit dem legendären Jeff Buckley ist eine ganze Ecke zu hoch gegriffen. Odell macht keine so intensiv-berührende Indie-Musik wie Buckley, sondern guten, handgemachten Pop. Der ist mal bis auf wenige getupfte Klavieranschläge reduziert, mal verliert er sich in Opulenz, wenn sich Schlagzeug, Gitarre und Chor dazugesellen. Gemein haben alle Lieder — im Gegensatz zu Buggs euphorischen Rocksongs — ein Standardmaß an Melancholie.
Mit Frauen hat Odell es bisher nie länger als sechs Monate ausgehalten. Daraus zieht er die Inspiration für seine Lieder. Die Texte handeln meist von (gescheitertem) Zwischenmenschlichem. Heraus kommen teilweise schöne Bilder, wie das Bemühen um eine auslaufende Liebe: „I brought you daffodils in a pretty string/ But they won’t flower like they did last spring“ („Ich brachte dir Narzissen in einer hübschen Schleife/Doch sie werden nicht blühen, wie sie es im vergangenen Frühling taten“). Die Grenze zwischen Romantik und Kitsch ist fließend. Ebenso die zwischen Weisheit und Plattitüde.
Auf Tour waren Tom Odell und Jake Bugg übrigens auch schon gemeinsam. Am 13. Juli stehen sie hintereinander auf der Bühne des British Summer Time-Festival im Londoner Hyde Park — direkt vor den Rolling Stones. Mögen seine Beziehungen auch scheitern: Mit seinem Album „Long Way Down“ geht es steil bergauf für den 22-Jährigen.