Tomás Netopil: Alles — nur kein allwissender Maestro

Essens neuer Generalmusikdirektor Tomás Netopil pendelt zwischen seiner tschechischen Heimat und dem Ruhrgebiet.

Essen. Mit 38 Jahren hat Tomás Netopil es geschafft. Weniger als Pultstar alter Schule denn als Teamplayer, der zusammen mit einem Orchester die Gipfel stürmen will. Der gebürtige Tscheche steht nicht nur seit einigen Jahren an ersten Häusern am Pult, leitet die Prager Nationaloper, reüssierte in Paris, London, Wien, Tokyo und selbst bei den Wiener Philharmonikern. Einer großen Herausforderung stellt sich der sympathische Vater dreier Kinder nun auch im Aalto-Opernhaus in Essen.

Er tritt in die Fußstapfen von Stefan Soltesz, der 16 Jahre lang die Essener Philharmoniker zu Glanz und Glorie und in die deutschen Orchester-Charts führte. 2003 und 2008 kürte man sie, dank Soltesz, zum Orchester des Jahres. Hier den Staffelstab zu übernehmen, ist keine leichte Aufgabe für den Tschechen, waren die Musiker doch lange Zeit eingeschworen auf Soltesz’ unerbittlichen Dirigierstil.

Klar, dass Netopil, der in seiner Heimat Violine und Dirigieren studiert hat, einiges anders machen will, sich aber auch dem Soltesz-Erbe verpflichtet fühlt und mit viel Energie sein Debüt vorbereitete. Nach dem ersten Symphoniekonzert in der Essener Philharmonie mit Mahlers Erster bestand der neue Generalmusikdirektor jetzt seine zweite Bewährungsprobe mit Verdis „Macbeth“ in der Aalto-Oper.

Denn lyrisches Streicher-Flirren entlockt er den glänzend intonierten Philharmonikern genauso intensiv wie psychologische, feinsinnige Charakterzeichnungen und martialischen Hexenzauber. Wohltuend ist seine präzise Schlagtechnik, die zeigt, wo’s langgeht. Aber auch seine Zurückhaltung, denn Netopil mag nicht die Pose des allwissenden Maestro.

Elegant, mit einem Schuss Italianità, aber auch energisch aufgeladen: Verdi at his best ist unter seiner Führung aus dem Orchestergraben zu vernehmen, und zwar in allen vier Akten des blutrünstigen Königsdramas aus dem mittelalterlichen Schottland, das Verdi 1847 in Töne setzte.

Symbolisch die Seufzerbrücke, die über einen Fluss in den schottischen Highlands führt, ein bemooster Katafalk, auf dem Macbeth seine erstochenen Opfer aufbahrt, und eine mit Lilien geschmückte Grabstätte: In finsteres Dunkel getaucht gibt sich das reduzierte Bühnenbild, das zur Regie von David Hermann passt. Sie erzählt von einer berechnenden Lady Macbeth, die ihren Mann zum Morden anstiftet, um sich der Rivalen auf den Königsthron zu entledigen.

Hermann verzichtet auf vordergründige Aktualisierung, vertraut auf die Shakespeare-Bearbeitung und verstärkt sie durch Mythen von Waldeinsamkeit und mit Dolchen mordenden Tyrannen. Eine handwerklich saubere Inszenierung, die niemanden provoziert, aber auch keine Geistesblitze erkennen lässt. Musikalisch war es für das an Soltesz gewohnte Publikum ein vielversprechender Auftakt.

Jetzt ist man gespannt darauf, welche Schwerpunkte Netopil — außer tschechischem Repertoire (wie „Jenufa“, Premiere im März) — künftig setzen und ob er sich zu einem Magnet für Klassikfans aus NRW entwickeln wird. Immerhin wird er laut Vertrag 140 Tage pro Jahr in Essen weilen; den Rest verbringt er meist in Prag, wo auch seine Familie lebt.