Verlorene Jugend: The Libertines sind zurück

Berlin (dpa) - Es ist ein Comeback, mit dem lange Zeit niemand mehr gerechnet hatte: Der Skandal-Rocker Pete Doherty kehrt mit den Libertines zurück auf die Bühne.

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Nach elfjähriger Pause haben die Ikonen des britischen Indie-Rock, als deren genialer Kopf Doherty immer galt, ihr neues Album „Anthems For The Doomed Youth“ herausgebracht - Hymnen für die verlorene Jugend.

Verlorene Jugend - bei diesem Titel schießen denjenigen, die seit mehr als einem Jahrzehnt auf diese Platte gewartet haben, unweigerlich Bilder in den Kopf: Pete Doherty völlig neben sich stehend, verschwitzt oder blutverschmiert, immer orientierungslos und verloren wirkend in London oder irgendwo auf der Welt - wahlweise furchtbar aufgedunsen oder schrecklich abgemagert, gezeichnet von einer Drogenkarriere, die selbst im an derlei Karrieren reichen Rockgeschäft wohl ihresgleichen sucht.

Er war mit Model Kate Moss zusammen und soll auch eine Affäre mit Amy Winehouse gehabt haben, die im Alter von 27 Jahren wohl an den Folgen ihrer Drogen- und Alkoholsucht starb. Wirklich überrascht wäre niemand gewesen, hätte es mit Doherty ein ähnlich tragisches Ende genommen. Heute ist er 36 Jahre alt.

Die Skulptur „For Pete's Sake“, die im Frühjahr in einer Londoner Kirche ausgestellt wurde, zeigte den Sänger ans Kreuz genagelt. Der Künstler Nick Reynolds, ein Freund von Doherty, hatte ihn dafür im Jahr 2008, auf einem der Höhepunkte seiner Drogenkarriere und dem Medienhype, der ihn dabei lustvoll begleitete, eingegipst. „Damals habe ich es so empfunden, dass Pete von den Medien gekreuzigt wurde. Das gab mir die Inspiration für dieses Stück“, sagte Reynolds der Zeitung „Daily Mail“.

Der Pfarrer der Kirche, Stephen Evans, sagte im Interview der „Welt“: „Pete Doherty an einem Kreuz - das wirft Fragen auf. Fragen nach dem Lebensstil, nach Lebensentscheidungen, nach dem Kampf zwischen Gut und Böse - aber auch Fragen der Erlösung.“

Im Moment, so scheint es, hat Doherty tatsächlich irgendeine Form von Erlösung gefunden. „Life can be so handsome“ (das Leben kann so schön sein) heißt es im Titelsong des neuen Albums. In Thailand machte er einen Entzug - und schrieb nebenbei mit seinen alten Kollegen Carl Barât, John Hassall und Gary Powell das neue Album. Kaum zu glauben: Es ist erst das dritte Libertines-Album überhaupt. Die Band brauchte nur wenige Lieder, um Musikgeschichte zu schreiben.

Ihre eigene Geschichte aber endete einfach zu abrupt - weil Doherty nicht zu Konzerten erschien, weil er bei Co-Sänger Barât einbrach, weil er mit den Babyshambles eine Konkurrenzband gründete. Der renommierte britische „New Musical Express“ (NME) hat ausgerechnet, dass es inzwischen drei Jahre her ist, dass ein Libertine mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Zeit also, für wichtigere, für bessere Dinge im Leben: für richtig gute Musik.

Mit ihrer neuen Platte bleiben die Libertines unverkennbar die Libertines, Garagenrocker irgendwo zwischen melodischem Britpop und kreischendem Punk. Doch ihre Musik klingt rund wie nie, weniger sperrig, weniger aufgekratzt - und trotzdem so energiegeladen wie ein Debüt.

Sangen sie in ihren ersten beiden Alben vor allem von Maßlosigkeit und Selbstzerstörung im Drogen-London der Nuller-Jahre, geht es jetzt um die Narben, die dieses Leben hinterlassen hat. Fazit: „Don't spend your days in the haze with the iceman. It means nothing at all“. Halt Dich fern vom Drogendealer. Barât erzählt in „Belly Of The Beast“ von Depressionen und Besuchen beim Therapeuten, und in „Fury Of Chonburi“ tun die beiden Sänger Barât und Doherty, die beiden engen Freunde von einst, das, was sie schon vor Jahren hätten tun sollen: Sie arbeiten ihre Freundschaft auf.

In „Fame and Fortune“ erinnert sich die Band daran, wie sie einst auf den Straßen von London beides suchte: Ruhm und Geld. In der ersten Single-Auskopplung „Gunga Din“ scheint ein kleines bisschen Reggae durch und „You're My Waterloo“ ist tatsächlich eine grandiose und gefühlvolle Liebeserklärung mit Klavierklängen. Das Album beginnt mit dem Song „Barbarians“ und dem Satz „This one's for your heart and for your mind“ (Dies ist für Dein Herz und Deinen Verstand). Der einzige Wermutstropfen an diesem neuen Album sind die vielen verlorenen Jahre seit der letzten Libertines-Platte.