Vier starke Argumente für uramerikanischen Rock

Berlin (dpa) - Rockmusik voller Weite, Atmosphäre und Kraft, wie sie uramerikanischer kaum denkbar ist - das bieten die neuen Alben von The db's, Giant Sand, Chris Robinson Brotherhood und den kanadischen Arkells.

Die größte Überraschung gelingt dabei dem US-Quartett um die Songwriter Chris Stamey und Peter Holsapple - The db's. Ja, genau die. Verdammt lang ist's her, nämlich drei Jahrzehnte, dass diese Band einen so melodischen wie garagenrauen Neo-Gitarrenrock begründete, ohne den der Massenerfolg etwa von R.E.M. wohl gar nicht denkbar wäre. Ihre ersten Alben „Stands for deciBels“ (1981) und „Repercussion“ (1982) setzten Trends und klingen auch heute noch gut.

Das Erstaunliche nun: Das in db's-Originalbesetzung eingespielte „Falling Off The Sky“ (Blue Rose) ist eine hochwillkommene Rückkehr, mit zwölf Songs zwischen Byrds, Beatles und Big Star (die US-Band um den vor zwei Jahren gestorbenen Kultstar Alex Chilton war immer das große Vorbild von Stamey/Holsapple). Kein müdes Altherrenwerk, weil die Frührente noch nicht durch ist, sondern eine stimmige Verbeugung vor den Sixties und der eigenen Band-Historie.

Die sechs Songs von Stamey, der in den Nullerjahren einige starke Soloplatten veröffentlichte, sind die ambitioniertesten auf „Falling...“, mit fabelhaften Breaks und orchestralen Verzierungen.. Aber auch Holsapples etwas simplere Lieder halten den hohen Standard. Nur „Write Back“ vom Schlagzeuger Will Rigby ist ... nun ja, der Song eines Schlagzeugers eben. Alles in allem aber: Ein tolles Album der alt-neuen db's, ein großes Comeback nach gut 20 Jahren Sendepause.

Kaum weniger Zeit im Indierock-Business hat Howe Gelb auf dem Buckel, der unermüdliche Frontmann von Giant Sand. Nach gefühlten hundert Alben unterschiedlichster Qualität - von schräg-verpeilt bis genial - legt der 56-Jährige mit „Tucson - A Country Rock Opera“ (Fire/Cargo) jetzt womöglich sein Americana-Meisterstück hin. Er rief eine Riesenbesetzung mit Musikern aus seinen beiden Heimatstädten Tucson/Arizona und Arhus/Dänemark zusammen, erweiterte den Bandnamen auf Giant Giant Sand - und schöpfte aus dem Vollen.

Von Alternative Country über Folkrock und Bar-Jazz bis zu Cumbia, Mariachi-Musik und schmachtenden Mitternachtsballaden („Love Comes Over You“) ist alles zu hören, was die Musik von Giant Sand seit den Anfängen von 1985 ausmacht - nur alles noch etwas besser und runder. Gelbs sonorer Sprechgesang könnte über 19 Songs etwas eintönig werden, deshalb hat er sich für seine „Countryrock-Oper“ mehrere Gastsänger wie den großartigen Brian Lopez an die Seite geholt.

Es lohnt nicht, einzelne Lieder hervorzuheben - „Tucson“, eine 70-minütige Hommage an die amerikanische Wüstenstadt und zugleich ihr Soundtrack, sollte als Ganzes genossen werden. Mit diesem sauber produzierten, anspruchsvollen Album schließt Howe Gelb - etwa im mitreißenden „Caranito“ zu seinen früheren Giant-Sand-Mitstreitern Joey Burns und John Convertino auf, deren Erfolg mit Calexico er lange Zeit etwas zwiespältig gesehen haben soll. Sombrero ab!

Während Gelb wieder sein ganz eigenes, originelles Tucson-Ding macht, können der frühere Black-Crowes-Sänger Chris Robinson und seine Brotherhood ihre Vorbilder kaum verleugnen: Die legendären Grateful Dead oder Creedence Clearwater Revival kommen in den Sinn, wenn man die sieben langen Tracks hört (als Songs im klassischen Sinne gehen einige kaum durch). „Big Moon Ritual“ (Silver Arrow/Soulfood) ist ein Fest für Fans des spielfreudigen, auch ein wenig maßlosen Seventies-Gitarrenrock amerikanischer Bauart.

Schon im zwölfminütigen Opener „Tulsa Yesterday“ lässt das Quintett um den vielbeschäftigten Gitarristen Neal Casal die Zügel schießen. Die markante Stimme von Chris Robinson, der mit den Black Crowes vor rund 20 Jahren den klassischen US-Rock schon einmal reanimierte, taucht gelegentlich zwischen verkifften Soli auf und dann minutenlang wieder ab. Nostalgische Piano/Gitarre-Jams wie „Rosalie“ machen aber einen solchen Heidenspaß, dass man der Chris Robinson Brotherhood für ihre immer leicht selbstverliebte Zeitverschwendung nicht böse sein kann.

Kanada hat ja längst seine eigene kreative Indierockszene mit den Grammy-Gewinnern Arcade Fire an der Spitze - aber eben immer auch musikalische Verbindungen zum kontinentalen Nachbarn USA. Das hört man dem Sound der Arkells aus Hamilton/Ontario an, die nach diversen Auszeichnungen in ihrer Heimat jetzt ihr Deutschland-Debüt vorlegen. „Jackson Square“ (The Organisation/Soulfood) ist ein Rockalbum aus dem Bilderbuch, mit Verweisen auf Bruce Springsteen und seine US-Gefolgsleute The Gaslight Anthem oder The Hold Steady.

Die fünf Arkells haben sogar einen Song mit dem Titel „Oh, The Boss Is Coming!“ im Programm, der aber nichts mit Springsteen, sondern mit Stress auf der Arbeit zu tun haben soll. Hemdsärmelig, verschwitzt und ehrlich klingen die zwölf Lieder zwischen hübschem Americana-Folkpop und klassischem Gitarrenrock. „In Kanada in einer Band zu sein bedeutet definitiv Working Class zu sein“ sagt Keyboarder und Gitarrist Dan Griffin.

Schon der druckvolle Opener „Deadlines“ und das anschließende “Pullin' Punches“ lassen keinen Zweifel daran, dass sich diese Band für kleine Bühnen nicht zu schade ist, aber auch in Stadien bestehen könnte. Mit „Ballad Of Hugo Chavez“ und „John Lennon“ die Arkells das Piano-Pop-Terrain eines Ben Folds, die Mundharmonika von „No Champagne Socialist“ klingt, vorsichtig formuliert, recht springsteenesk. Sei's drum - die Truppe um den den kraftvollen Shouter Max Kerman kommt selten epigonal und ohne Durchhänger über die Runden. Feiner Einstand einer talentierten Band.