Woodkid: Die Geschichte vom Jungen aus Holz
Seit 2011 füttert der Franzose Woodkid das Netz mit traurigschönen Balladen, die er kunstvoll bebildert. Jetzt gibt’s das dazugehörige Album.
Der Weg, den Yoann Lemoine hinter sich hat, ist lang und kurvenreich, hin und wieder hügelig, aber nie wirklich steinig. Illustrator wollte er werden, professionell umsetzen, was er sich mit den Grafikprogrammen des Computers seiner Eltern spielerisch erarbeitet hatte. Er studierte in Lyon, machte seinen Abschluss und arbeitete einige Jahre als Animationsfilmer. Bis er merkte: Das kann es noch nicht gewesen sein.
„Mich überkam eines Tages dieses frustrierende Gefühl, nie Filme über echte Menschen machen zu können“, sagte der Franzose im Herbst vergangenen Jahres in einem Interview. Er begann, Videos für die Songs seiner Musikerfreunde zu drehen. „Das war alles sehr einfach und unterentwickelt.“ Aber die Ideen, die er in Bilder verwandelte, öffneten ihm die Tür in die Musikbranche.
Mit Rihanna und Taylor Swift hat er schon gearbeitet, für Katy Perry das Video zu „Teenage Dream“ inszeniert und für Lana Del Rey „Born To Die“. Zu sagen, er sei angekommen, wäre nicht übertrieben. Doch in ihm drin wuchs schon wieder diese Unzufriedenheit, dieses beißende Gefühl, dass da noch etwas anderes kommen muss.
Die Antwort hieß: Musik. Nicht als Alternative zum Filmen, sondern als Ergänzung. Wie ein fehlendes Puzzlestück begann Lemoine seine Vorstellungen davon in die Tat umzusetzen, wie ein Song auszusehen hat, der seine Bilder unterlegt. Das erste Ergebnis, „Iron“, ein in sich verschlungenes Stück Pop, das mit orchestraler Dramatik und nervöser Percussion gekonnt die Gefühlsklaviatur spielt, erschien 2011 und gehört mit über 20 Millionen Klicks zu den meistgesehenen Clips im Netz überhaupt.
Spieleentwickler und Hollywoodstudios rissen sich gleichermaßen um den Song, da er mit seiner epischen Klangbreite wie geschaffen dafür ist, Trailer zu unterlegen — so geschehen beim Game-Hit „Assassin’s Creed: Revelations“ und dem Biopic „Hitchcock“ mit Anthony Hopkins in der Rolle der Regie-Ikone.
Ausufernd sind die Harmonien, erhaben und bewusst überstilisiert die Bilder. Der Kontrast aus Schwarz und Weiß strahlt förmlich, Tiefenschärfe und Zeitlupe verleihen der Szenerie eine unwirkliche Atmosphäre.
Dass in Lemoines Kopf Ideen für ein ganzes Album schlummerten, war schon damals klar. Selbst der Titel steht schon seit über einem Jahr fest: „The Golden Age“. Für Lemoine ist dieses goldene Zeitalter die Kindheit und Jugend, schlicht: das Glück. Danach beginnt der Kampf, erwachsen werden zu müssen. „Ich dachte mir dafür die Geschichte eines Jungen aus, der sich aufmacht, in der Stadt zu leben“, beschreibt der 30-Jährige das Gesamtkonzept. „Ich benutze gerne Materialien als Symbole. Zu Anfang ist der Junge aus Holz, für mich ist das ein sehr emotionales Material, das mit Wurzeln und Herkunft zu tun hat.“ Der Name für das Projekt war geboren: Woodkid — Holzjunge.
Klingt nach Pinocchio? Nicht ganz. Die Marionette aus dem Kinderbuch wollte unbedingt Mensch werden, bei den Großen mitspielen. Woodkid will es nicht, aber er muss — weil es unvermeidlich ist. Man könnte sagen: Er ist Pinocchio mit Peter-Pan-Komplex. Seit der Veröffentlichung von „Iron“ hatte Lemoine, der sich als Musiker wie sein Geschöpf Woodkid nennt, immer wieder Musikvideos herausgebracht, die sich mit der Metamorphose seiner Hauptfigur beschäftigen. Im Mai 2012 das getriebene „Run Boy Run“, im Januar dann das traurige Liebesbekenntnis „I Love You“.
Das, was Woodkid mit „The Golden Age“ geschaffen hat, ist musikalische Poesie. Sicher, er greift tief in die Töpfe, auf denen Pathos und Kitsch steht, lässt Streicher schwelgen, Pauken wummern und Trompeten mit Fanfaren aufwarten. Aber genau so, mit überbordender Gefühlswucht, vollzieht sich nun mal der Wandel vom Kind zum Erwachsenen. Künstlerisch macht er dabei keine Abstriche. Jede Clipsequenz, jeder Soundschnipsel ist passgenau abgestimmt. „The Golden Age“ ist ein Gesamtkunstwerk, nichts ist dem Zufall überlassen.
Für Woodkid eine Selbstverständlichkeit. Denn für ihn steht fest: Als Künstler muss man Perfektionist sein. „Es ist komisch, dass Leute dich damit aufziehen, dass du ein Perfektionist bist“, sagt er im Gespräch mit dem Musik-Blog „Noisey“. „Wenn ein Tischler versucht, das Beste aus seinem Möbelstück zu machen, dann finden das alle gut. Wenn ein Künstler versucht, das Beste aus seiner Kunst zu machen, ist er ein Spießer.“ Woodkid möchte ein Meister sein, quasi Pinocchio und Gepetto in einem.
Termin: 16. April, Köln, Live Music Hall