Retrospektive in Bonn Norbert Schwontkowski - Anti-Romantiker und Pessimist mit Humor
Bonn · Der Bremer Norbert Schwontkowski wäre in diesem Jahr 70 geworden. Das Kunstmuseum Bonn widmet ihm eine retrospektiv angelegte Einzelausstellung.
Norbert Schwontkowski (1949-2013), dieser Anti-Romantiker aus Norddeutschland, erhält posthum seine erste große Tournee, die im Bonner Kunstmuseum gestartet ist und über Bremen nach Den Haag führen wird. Sie gilt mit mehr als 60 Gemälden und 25 Skizzenbüchern einem Spätberufenen, der sich erst mit fast 40 Jahren zum Künstlerdasein entschloss und nur 25 Jahre später starb.
Kurator Christoph Schreier nennt ihn einen „Erkenntnis-Pessimisten“, was nicht ganz zutrifft, denn dazu hat der Künstler viel zu viel Humor. Dieses In-die-Welt-Geworfen-Sein, das man ihm andichtet, trifft die Qualitäten dieses Malers nicht ganz. Er ist einer, der nicht die Sterne am Himmel sucht, sondern die Autoscheinwerfer in der Dunkelheit. Ein „Maler aus Lakonien“, wie er sich selbst nannte.
Im ersten Raum der Ausstellung in Bonn gibt es ein Breitwandbild, das typisch für ihn ist: Da steht in der Dunkelheit („Früher Morgen“) ein Kerl, ein Alter Ego gleichsam, am Straßenrand. Er schaut nicht gen Himmel, sondern wartet offensichtlich darauf, dass ein Autofahrer trotz der Dunkelheit anhält und ihn mitnimmt.
Edvard Munch malte, wie die Schau derzeit in K 21 beweist, Bäume über Bäume, die irgendwie gen Himmel wachsen. Nicht so bei Schwontkowski. Der zeigt in „Novemberspiegel“ wenig Baum, dafür aber große Pfützen, in denen sich die spindeldürren Äste der Baumkronen spiegeln. Und wenn schon Baum, dann ein Wurzelwerk, ein Gewusel aus Ästen, auch als ein immenses Vogelnest zu lesen.
Dieser Künstler aus Bremen zeigt sich zu Beginn der Schau als kleiner Wicht im kleinen Format. „Nachdenken über Nichts“ (2007) lautet der Titel. Da steht er im offenen Mantel, mit großer Brille, und lässt gleichsam aus der Hosentasche ein bisschen weiße Farbe rutschen. Unweit davon entfernt hängt ein Brustbild ohne Kopf, wobei sich eine Hand in ein Hemd schiebt. Napoleon wurde mit dieser Geste bekannt. „Haut“ heißt Schwontkowskis Bild von 1995 – und die Hand fühlt offensichtlich das, was unter der Haut steckt. Ein Kopf ist dafür offenkundig gar nicht nötig.
In diesem ersten Raum gehört der Fensterblick einem Bild ohne Titel und ohne Jahresangabe. Es zeigt eine Figur, die sich so weit aus dem hellen Raum an den Fensterscheiben vorbei in die Dunkelheit schiebt, dass sie gleich das Gleichgewicht verlieren und abkippen wird. Offensichtlich wird sie aber von der Dunkelheit gehalten sowie von einer Landschaft, die sich mehr erahnen als betrachten lässt.
Wie man in der
Drecksbrühe überleben kann
Eines der schönsten Bilder in dieser Ausstellung trägt den Titel „Wir in dieser Drecksbrühe“ und stammt von 1997. Hier fällt Schwontkowski über seine eigene Malerei her, die ein Gemisch aus allen möglichen und unmöglichen Ingredienzien ist, aus selbst gemischten Pulvern und Ölen, aus Oxyden wie bei Sigmar Polke, aus billigen Farben aus der Drogerie von nebenan. Doch gerade in dieser Brühe wird das Bild lebendig. Er liebt diese Materie und schiebt sie zuweilen bis über den Bildrand hinweg. Die sechs Schwäne aber, die aus dem Sud herausschauen, überleben dennoch oder gerade deswegen.
Die Kunst des Norbert Schwontkowski ist eine Menschheitsgeschichte, mit genau beobachteten Typen. Des Nachts verspürt der Spökenkieker Hunger und macht sich am Kühlschrank zu schaffen. Das ist kein Spätromantiker in der Nachfolge von Caspar David Friedrich, sondern einer, der nachts nicht schlafen kann und nun sein Heil in einem Behälter sucht, der vom Sperrmüll stammen könnte. Dieser Maler hat eine entwaffnende Ehrlichkeit. Das zeigt sich an seinen Tagebüchern, Skizzenbüchern und Notizzetteln. Da entwirft er die Szenen, die er dann in ähnlicher Form festhält. Auch seine Gedanken reflektiert er dort, spricht von der Konzentration und Verdichtung, die er suche. Und immer wieder von der Schönheit, die letztlich das Ziel seiner Kunst ist.
In einem dieser Skizzenbücher gibt es einen Entwurf zu fünf Sonnenschirmen, aber noch mit einer Figur, die seitlich neben den geschlossenen Schirmen steht. Im Gemälde selbst (Titel „Sopot“) hat er die Figur nicht mehr nötig. Dafür lässt er das Tuch der zusammengeklappten Schirme ein wenig im Winde wehen. Das ersetzt die Figuren.
Das Bild zeigt aber auch, wie er vorgeht. Er malt zunächst den dunklen Himmel. Und dann nimmt er die Rakel oder irgendeinen Schieber, entfernt die Dunkelheit und lässt die roten Schirme hervortreten. Das hat Methode, denn stets entwickelt er seine Farbkultur aus dem Dunkel der Nacht. Das ist kein „melancholischer Abgesang auf den Sommer“, wie es der Kurator nennt. Das ist jene poetische Nüchternheit, wie sie der Künstler aus dem Norden liebt. Lapidar.