„Die Entdeckung des Himmels“ in Düsseldorf Die Generalprobe und der Aberglaube

Düsseldorf · Welche Regeln gelten bei einer Voraufführung? Ein Erfahrungsbericht vor der Premiere von „Die Entdeckung des Himmels“ im Düsseldorfer Schauspielhaus.

Szene aus den Proben: Moritz Führmann spielt Max Delius, Serkan Kaya und Andreas Grothgar spielen die Engel, die erzählen, wie sie Gottes Auftrag planen und durchführen.

Foto: Rabsch

Es passiert nicht oft, aber manchmal eben doch: dass die Menschen im Kino applaudieren. Für wen tun sie das? Für Schauspieler oder Regisseur gewiss nicht, die hören das Klatschen nicht. Und der Filmvorführer ist wohl auch nicht gemeint. Sie meinen sich selbst, die Zuschauer wollen etwas loswerden, ihre Begeisterung zeigen. Eben dieses Motiv gilt natürlich auch im Theater, in dem das Publikum die aufgeladene Energie abgeben will. Und dabei dann auch etwas zurückgeben will an die Schauspieler, an den Regisseur und die anderen an der Inszenierung Beteiligten, die Bühnenbildner, die Musiker…Aber was, wenn all diese Menschen den Applaus gar nicht wollen?

Was absurd erscheint, ist durchaus Realität. Wenn nämlich die Premiere des aufgeführten Stückes noch nicht stattgefunden hat. Das Schauspiel aber doch schon bei einer öffentlichen Voraufführung vor Publikum „ausprobiert“ wird. Da sind die Schauspieler abergläubisch. Gilt doch die alte Weisheit, dass eine misslungene Generalprobe Bedingung für eine gute Premiere ist. Umgekehrt: Wird schon bei der öffentlichen Probe geklatscht, so ist dies kein gutes Zeichen.

Aber wenn sie nun mal so gut sind, die Schauspieler und auch die Inszenierung, dann lässt sich auch das kontrollierteste Publikum nicht bremsen. Die Schauspieler können allenfalls versuchen, überschäumende Zustimmung in Grenzen zu halten, indem sie nach Ende der Vorstellung nicht mehr zurück auf die Bühne kommen, um sich zu verbeugen.

Eben diese Situation war es, in die sich am Dienstagabend die Schauspieler des Stückes „Die Entdeckung des Himmels“ nach dem Roman von Harry Mulisch (Infokasten) hineingespielt hatten. Die Zuschauer im Düsseldorfer Schauspielhaus waren sichtlich angetan. Drei Tage vor der Premiere. Und acht Wochen nach Probenbeginn (acht Stunden  an fünf Tagen die Woche, samstags vier Stunden).

Bei der öffentlichen Voraufführung am Dienstag vor vollen Rängen erklärt Regisseur Matthias Hartmann um 19 Uhr die Spielregeln.  „Ich kann Ihnen sagen, wir haben Sie als Versuchskaninchen gerne da.“ Ja, die Zuschauer dürften klatschen, aber nicht zu lang, nicht zu heftig. Weil viele Theaterleute nun mal abergläubisch seien, dürfe man nicht erwarten, dass die Schauspieler nach Ende der Vorstellung noch mal auf die Bühne kommen, um eben diesen Applaus abzuholen. Und er warnt vor. Es könne sein, dass er unterbrechen müsse, wenn etwas nicht klappt.

Das Verhalten der Zuschauer kann das Stück noch beeinflussen

Warum das Spielen vor Zuschauern auch vor der Premiere so wichtig ist und welche Bedeutung die Reaktionen des Publikums bei der öffentlichen Voraufführung für die Premiere haben, erklärt Robert Koall, Chefdramaturg und stellvertretender Generalintendant. Er sagt, dass das Publikum eine wichtige Funktion hat. Bei der öffentlichen Voraufführung lasse man sich zwar in die Karten gucken, andererseits sei der Abend vor Publikum aber auch durchaus „ein Arbeitsmittel, ein Messgerät, um in den verbleibenden Tagen noch Feinjustierungen vorzunehmen“.  Koall: „Es gibt eine Art von Raum-Energie in so einem Theatersaal. Wenn ein paar Hundert Personen sich auf etwas fokussieren, dann entsteht eine bestimmte Energie im Saal, die ist für uns wichtig, wir bemühen uns, die zu lesen.“ Und wenn man merke, „wir verlieren den Raum, die Menschen gucken auf die Uhr oder husten nervös, dann versuchen wir herauszufinden, woran das liegt“. Ob beispielsweise eine Textpassage zu lang ist. Da können wir noch manches ändern an den verbleibenden Tagen bis zur Premiere. „Da ist noch viel möglich, nichts ist in Stein gemeißelt.“

Regisseur Hartmann macht zwar nicht die Ankündigung wahr, die Aufführung anzuhalten, weil etwas nicht klappt. Doch nach knapp zweieinhalb Stunden ruft er doch laut „Stopp“. Ausgerechnet in einer Schlüsselszene. Das Licht geht an, ein enttäuschtes vielstimmiges „Ooh“ schallt aus dem Zuschauerraum.

„Anders als Sie wahrscheinlich habe ich 238 Fehler bemerkt“, sagt Hartmann  lächelnd. Und dann fragt er in den Saal, wer denn nach einer kurzen Pause noch mal für eine Stunde zurück in den Saal kommen wolle. Fast alle Zuschauer zeigen auf. Und das, obwohl Hartmann schon ankündigt, dass man an diesem Abend auf keinen Fall fertig werden wird mit dem Stück. Das Ende wird also offen bleiben.

Und so ist es dann auch eine Stunde später. An der spannendsten Stelle ist Schluss. Wer das Buch kennt, ist klar im Vorteil und dennoch unbefriedigt, weil er jetzt, es ist 23 Uhr, nach Hause geschickt wird. Entweder noch mal in die Vorstellung oder das Buch (noch mal) lesen, wäre der Rat an die Zuschauer. Und die Schauspielhaus-Mannschaft? Die muss bis zur Premiere am Freitag noch kräftig die Aufführung raffen. Andernfalls wird es ein sehr langer Abend. Die Voraufführung dauerte bereits dreieineinhalb Stunden. Ohne das Finale, zu dem noch so einiges zu erzählen gewesen wäre.