Skulptur-Projekte Open-Air-Schau in Münster: Kunst ohne erhobenen Zeigefinger

Münster lockt wieder einmal mit einer großen Open-Air-Schau: Bis Oktober sind die Skulptur-Projekte Teil der Stadtlandschaft.

Foto: dpa

Münster. Kaspar König, Mentor und Ideengeber der Skulptur-Projekte Münster, eröffnete gestern mit einem Seitenhieb auf die Documenta in Kassel eine wunderbare Open-Air-Veranstaltung. Sie erhebt keinen Zeigefinger, sie will die Welt nicht verändern. Sie möchte eine Bresche für die Kunst schlagen. Sie schafft denn auch Öffentlichkeit.

König, der wegen einer Infektion am Bein im Rollstuhl auf die Bühne kam: „Wenn man eine illustrative, politische Punktlandung machen will, hat das oft mit Kunst nichts zu tun.“ Das aber heißt, alles ist frei. Keine überteuerten Tickets. Keine Schicki-Micki-Essbuden. Wer will, bekommt die Pommes nebenan. Selbst die Führungen werden gesponsert. Und das nicht für 34 Millionen Euro wie bei der Documenta. sondern für einen Etat von 6,2 Millionen Euro.

Schade, dass der Regen gestern manches Projekt tatsächlich ins Wasser fallen ließ, vorerst jedenfalls. So wagten es nur wenige, Ayse Erdmens Unterwasser-Steg zu betreten und übers Wasser vom kulturell belebten Ufer des Kanals zum eher industriell genutzten Ufer zu gehen. Aber die Idee ist betörend, in Münsters Hafen das andere Ufer zu erreichen. Der Besucher kommt tatsächlich an, zwar mit nassen Füßen, aber Schiffbruch erleidet hier niemand.

Ein paar Schritte davon entfernt betreibt der Amerikaner Michael Smith einen Tätowiershop am Hansaring. „Not quiet Under-Ground“ steht auf der Fensterscheibe. Eine böse Anspielung aufs Alter. Wer noch nicht ganz unter der Erde liegt, darf sich eine Zeichnung unter die Haut stechen lassen. Menschen im Rentneralter sind willkommen. Ihre Haut ist die Leinwand, wenn auch oft schon etwas schrumpelig.

Herve Youmbi aus Kamerun hat sich einen alten Friedhof ausgesucht, wo die großen Grabskulpturen an den Grafen von Schreckenstein und Wilhelm von Horn erinnern. Über den Gräbern preußischer Adliger geistern nun heidnische Masken in den Bäumen. Sie öffnen einen öffentlichen Raum des Jenseits und keine Gruft. Die Totenmasken hängen in den Baumkronen zwischen Himmel und Erde aus lauter farbenfrohen Glasperlen.

Bis gestern Mittag ließ der Franzose Pierre Huyghe die leer stehende Eissporthalle noch vor ihrem Abriss zurückbauen. Entstanden ist eine Wüstenei aus lehmigem Boden, Geröll und zerschlagenen Betonplatten. Jedermann kann durch diese neue Urlandschaft gehen. Er trifft auf Lehmhügel als Alternativen zu Bienenkörben.

In einem gläsernen Kasten lassen sich Fische und Krebse betrachten. Es gibt aber auch einen Inkubator, wo Krebszellen gezüchtet werden. Aus der Wüstenei erhofft sich der Künstler neues Leben. So sollen sich im Biotop sogar Pfauenvögel wohl fühlen. Algorithmen werden die Szene auch auf technische Weise verändern.

Die Werke schweben nicht im luftleeren, kunsttheoretischen Raum. Sie sind immer ortsgebunden. Dafür liefert der englische Konzeptkünstler Jeremy Deller das beste Beispiel. Er schenkte den Münsterschen Kleingartenvereinen vor zehn Jahren 30 Tagebücher, die sie ausfüllen sollten mit ihren Erfahrungen zur Alltagskultur. Stolz zeigten sie gestern ihre Ergebnisse. Da heißt es etwa: „Lieber spät und dicke Kartoffeln als Früh, und kleine.“

Was es mit Gregor Schneider in den Obergeschoss-Räumen des Landesmuseums auf sich hat, erfahren die Leser in den nächsten Tagen. Auch ein alltäglicher Schrank spielt dabei eine wichtige Rolle.