Tanztheater Intendantin Binder: Erbe Pina Bauschs bewahren und gleichzeitig erneuern

Am 1. Mai hat Adolphe Binder ihr Amt angetreten.

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Wuppertal. Sie hat schon eine Menge Erfahrungen gesammelt, in ganz verschiedenen Strukturen gearbeitet. Jetzt will Adolphe Binder (48), seit 1. Mai Chefin des Tanztheaters, diese Erfahrungen nutzen, um die Kompanie in die Zukunft zu führen. Und diese Zukunft soll beides beinhalten: die Pflege der Werke von Pina Bausch und gleichzeitig eine neue Identität.

Foto: Stefan Fries

Sie steckt mitten in der Arbeit für die neue Spielzeit, kommt von einem Treffen mit dem Ensemble zum WZ-Gespräch. Mit dem Ensemble engen Kontakt zu halten, ist ihr wichtig. Seit sie vor über zwanzig Jahren begonnen hat, sich mit Tanz zu beschäftigen, genießt sie die kreative Inspiration, die sie in den internationalen Truppen erlebt: „Das ist eine so reiche Erweiterung von Leben und seinen Möglichkeiten!“ Das Tanztheater Wuppertal sei dabei mit seinen drei Generationen von Tänzern noch einmal etwas Besonderes. Sie bedauert die Wege zwischen Opernhaus, Probenräumen und ihrem Büro und hofft, dass das Tanzzentrum bald Abhilfe schafft — vielleicht auch schon vor der Eröffnung.

Konkreteres über die Zukunft, über Stücke und Choreographen, nennt sie noch nicht. Fünf neue Tänzer habe sie engagiert. Das erste neue Stück ist für die zweite Hälfte der Spielzeit geplant. Denn das brauche Zeit, „keine Innovation ohne vorheriges Forschen.“

Adolphe Binder war schon öfter an der Aufgabe beteiligt, Tanzensembles neu auszurichten: an der Deutschen Oper in Berlin, an der Komischen Oper und zuletzt in Göteborg, wo sie fast nur Uraufführungen zeitgenössischer Choreographen auf die Bühne brachte.

Daher weiß sie: „Eine neue Identitätsfindung ist ein sehr spannender Prozess für alle.“ Dazu gehöre „zu fragen, zu wagen, zu probieren, sich in Gefahr zu begeben“. Für das Tanztheater verspricht sie: „Es wird einen Anschluss an das zeitgenössische Schaffen geben.“ Dabei gehe es darum, Herangehensweisen von Pina Bausch weiterzuführen, Tanz mit anderen Kunstdisziplinen zu verbinden, Formen der Grenzüberschreitung auszuprobieren. „Wir dürfen nicht zaghafter sein als in den 70er und 80er Jahren“. Sie ist sich bewusst: „Das wird auch eine Aufforderung für unsere Zuschauer, Neugierde und Chuzpe zu haben wie die Leute auf der Bühne.“

Adolphe Binder

Dabei bleibe das Werk von Pina Bausch Kern des Tanztheaters. „Wir wollen es auf reizvolle Weise erfahrbar machen und lebendig erhalten.“ Ziel sei auch, einen neuen Blick auf das Werk zu ermöglichen, neues Publikum damit anzusprechen, seine „Heutigkeit und Strahlkraft“ zu zeigen.

„Das hängt auch davon ab, wie wir auf das Werk vorbereiten, was für einen Kontext wir schaffen. Dem Repertoire kann nichts Besseres passieren als Innovation und Kreation parallel.“ Dazu wollten sie „mit allen Mitteln, die das 21. Jahrhundert zur Verfügung stellt“ arbeiten. Sie spricht von neuen Verbindungen mit der Stadt, „anderen Arten des Teilens“. Ideen habe sie für mehrere Jahre. Aber es soll natürlich auch Raum geben, aus gemeinsamen Erfahrungen zu lernen.

In Wuppertal hat sie sich schnell eingelebt, lobt die Wuppertaler als „wahnsinnig nett“ und sehr offen. Nach einem ersten Provisorium in der Nordstadt bezieht sie bald eine Wohnung in Unterbarmen, nah an ihrem Büro, den Trainingsräumen und dem Opernhaus. In der kurzen Zeit, die sie hier ist, hat sie schon viele schöne Ecken für sich entdeckt wie den Skulpturenpark, die Hardt, Schloss Lüntenbeck.

Jahrelang war Wuppertal für sie nur die Stadt, aus der das Tanztheater kam, das sie an vielen anderen Auftrittsorten gesehen hat. Trotzdem gab es schon Verbindungen. Nicht nur, dass sie jetzt feststellt, dass Menschen, die sie kennt, Verbindungen zur Stadt haben. Sie entdeckte zudem, dass seit Jahren ein alter Zeitungsausschnitt mit dem berühmten Foto des Tuffi-Sprungs in ihrem Portemonnaie steckte. Das Bild hatte sie einst angerührt, war aber längst vergessen.

Inzwischen ist sie von Wuppertal überzeugt: „Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass Pina Bausch, Else Lasker-Schüler und Friedrich Engels von hier stammen. Es gibt Orte, die haben etwas an sich, dass sie spannende Menschen hervorbringen.“