Pierre Brice: „Die Winnetou-Filme waren schon naiv“
Karl May starb vor 100 Jahren, Pierre Brice hat seinen Indianerhäuptling noch populärer gemacht.
Radebeul/Paris. Karl May ist ein Phänomen: Als Kind lebte er im sächsischen Ernstthal in bitterer Armut, er machte eine Lehrerausbildung, saß wegen Betrugs und Diebstahls mehrfach im Gefängnis — und wurde zu einem der meistgelesenen Schriftsteller.
Die Abenteuer, die er beschreibt, hat er selbst nie erlebt, geschweige denn die Länder gesehen, in denen sie spielen. Am 30. März jährt sich sein Todestag zum 100. Mal, noch heute werden 100 000 May-Bände im Jahr verkauft. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran hat der französische Schauspieler Pierre Brice (83), der in elf Filmen den Apachenhäuptling Winnetou spielte.
Herr Brice, die Rolle des Winnetou hat Sie ein Leben lang begleitet. Von dem Image des edlen Indianers kamen Sie allerdings nie mehr los. Haben Sie das bereut?
Brice: Mit Winnetou habe ich einen enormen Erfolg gehabt, mein Publikum ist treu und immer noch da — schon in der dritten Generation. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite habe ich vor Winnetou viele andere Rollen gespielt, auch Mörder. Meine Karriere kam in Italien gerade ins Rollen, und plötzlich hat sich durch Winnetou mein Leben komplett geändert. Ich bin sicher, dass ich meine Karriere weiter verfolgt hätte — wie sie verlaufen wäre, kann ich nicht sagen.
In Deutschland hat Sie Ihre Rolle zum Star gemacht, in Frankreich wurden die Winnetou-Filme nicht sehr beachtet. Haben Sie das als Franzose bedauert?
Brice: In Frankreich war und ist Karl May nicht bekannt. Dort gab es andere Helden wie „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas. Das ist der eine Grund.
Und der andere?
Brice: Ein zweiter ist vielleicht der, dass sich die Deutschen nach dem Krieg sehr nach ein bisschen Romantik und Werten, für die Winnetou und die Karl-May-Filme stehen, gesehnt haben: Friede, Freiheit, Menschenwürde. Die Winnetou-Filme waren ja schon ein bisschen naiv, aber die Deutschen waren offen dafür. Genauso wie Länder weiter im Osten, die damalige Tschechoslowakei etwa. Dort sind die Filme bis jetzt enorm erfolgreich, ich bekomme sehr viel Post aus Tschechien und der Slowakei.
Sie haben zwischen 1976 und 1991 in Elspe und Bad Segeberg als Winnetou bei Karl-May-Festspielen auf der Bühne gestanden. Welche Bedeutung hatte das für Sie?
Brice: Da hatte ich die Möglichkeit, mehr über Werte zu sprechen, die ich mein ganzes Leben lang verteidigt hatte. Das war mir sehr wichtig.