Ausstellung Pils, Protokoll und ein bisschen Palaver
Deutsche Vereinsmeierei ist weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Dass sich dabei Realität mit Klischee vermischt, zeigt eine Ausstellung im Haus der Geschichte.
Bonn. Leano Kraaz hatte keine Wahl. Am Tag seiner Geburt meldet ihn sein Vater beim FC Schalke als Mitglied an. Getauft wird der Knirps wenig später in der Kapelle des Schalker Stadions. Und auch der letzte Weg, den er irgendwann am Ende seiner blau-weißen Tage antreten wird, scheint vorgezeichnet. „Es bleibt jetzt mal abzuwarten — wir wünschen dem Jungen ja ein langes Leben — ob er vielleicht mal auf dem Schalker Fan-Feld seine letzte Ruhe finden wird“, sagt Angela Stirken vom Haus der Geschichte in Bonn. Sie deutet auf einen Grabstein mit dem Logo des Fußballclubs, auf dem noch „Max Mustermann“ eingraviert ist. Das Leben vergeht, der Verein bleibt, so die Botschaft.
Der Schalke-Grabstein und das Leben von Leano Kraaz gehören zu den skurrileren Geschichten, die die neue Ausstellung „Mein Verein“ des Hauses der Geschichte erzählt. Sie spürt mit rund 300 Objekten — darunter ein zehn Meter hoher Vereinsbaum vom Dorfplatz einer westfälischen Gemeinde — dem deutschen Vereinswesen seit den Anfängen im 19. Jahrhundert nach. Es geht um Schützen- und Karnevalsvereine, Fußballclubs, Kleingärtner und Fördervereine wie jener zum Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Dass sich das Museum, das sich auch als Gedächtnis der Bundesrepublik versteht, damit beschäftigt, erscheint logisch: Die Deutschen gelten fast weltweit als Volk der Vereinsmeier.
Klar ist: Es gibt nichts Ernsteres, als einen Verein zu führen. Das ist schon von Rechts wegen so. Vorstand, Schatzmeister, Eintrag im Register — alles muss seine Ordnung haben. Bleibt man beim Klischee, kommen auch noch ein schummriges Vereinsheim, nikotingeschwängerte Tapete, ein ordentliches Pils und ein Hirschgeweih hinzu. Die Ausstellung eröffnet mit der Piefigkeit des organisierten Beisammensitzens. Auf einem Fernseher läuft dazu eine Szene aus Loriots Film „Ödipussi“, in der freudlose Menschen mit großer Ernsthaftigkeit nach einem Vereinsnamen suchen: „Wie wäre es mit ,Karneval im Gedenken an Frau und Umwelt?’“
Klar ist aber auch: Es muss eine Realität jenseits des Klischees geben. Immerhin zählt das Vereinsregister aktuell mehr als 600 000 Vereine — da muss mehr als Muff sein. Schützenvereine etwa gerieren sich als Hüter von Traditionen, was immer wieder zu Debatten führt. Karnevalsvereine wie die „Kölsche Funke rut-wieß“, über die die Ausstellung ebenfalls berichtet, stiften Identität, einst in der Veralberung preußischen Drills. Zudem helfen sie, Kontakte zu knüpfen. Man bekommt jedenfalls eine Ahnung, warum ausgerechnet in Köln der Klüngel blühen konnte.
Das Verhältnis zum Staat ist dabei immer wieder von besonderer Bedeutung. In der DDR spricht man von „Vereinigungen“, da es ein Vereins-Eigenleben ohne SED-Aufsicht eigentlich nicht geben sollte. Heute erlebt die Bundesrepublik einen Boom der Fördervereine und Bürgerinitiativen, die zum Beispiel soziale Aufgaben übernehmen — was Diskussionen lostritt, ob das nicht eigentlich Aufgabe des Staates wäre. Die „Tafeln“, die Lebensmittel verteilen, sind so ein Beispiel. Die Fördervereine bilden auch den Wandel im Vereinswesen ab: Wer nur auf Tradition und Geselligkeit setzt, hat mitunter Nachwuchssorgen. Bürgerliches Engagement mit konkreten Projekten hat Zulauf.
Am Ende trägt man dennoch die Frage mit sich herum, warum sich die Deutschen so gern auch in ihrer Freizeit Regeln unterwerfen. Eine Antwort bietet womöglich der Zusammenschnitt von Ansprachen deutscher Bundespräsidenten. Sie loben natürlich das Ehrenamt. Und Christian Wulff sagt: „Ehrenamtliche leben übrigens auch länger.“