Zu viele Themen „Golden House“: Rushdie dreht (fast) einen Film

Frankfurt/Main (dpa) - Salman Rushdie, der große Autor, hat seinen ersten Film gedreht. Bedauerlicherweise hat er daraus ein Buch gemacht. Ein Buch über einen Film über die Geschichte von „Golden House“.

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Das ist leider ziemlich schief gegangen.

Salman Rushdie (70) ist so etwas wie der Woody Allen der Literatur: Man liebt seine frühen Arbeiten so, dass man sich auch alle neuen Werke ansieht. Dabei wird man zwar bisweilen enttäuscht, aber dann kommt wieder ein genialer Wurf und man weiß, woher die Treue rührt.

Salman Rushdie hat während und nach der Fatwa, die 1989 über ihn verhängt worden war, verständlicherweise manch nicht so überzeugendes Buch geschrieben. In den letzten Jahren aber waren erneut wundervolle Romane darunter, zuletzt das poetische „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ und die packende „Bezaubernde Florentinerin“. Und jetzt das. Ein Buch, das unzählige Themen anreißt und keines ausführt.

Lange muss der Leser spekulieren, was sich denn als Zentrum des Buches herausschälen wird. Der Titel legt nahe, dass es das „Golden House“ sein wird, in dem ein mysteriöser Tycoon mit seinen drei erwachsenen Söhnen wohnt. In New York hat die Sippe unter falschen, der griechischen Mythologie entlehnten Namen ein neues Leben begonnen. Der Ich-Erzähler ist der Nachbar, ein Filmemacher, der einen guten Stoff wittert. Er freundet sich mit den Goldens an, um hinter ihr Geheimnis zu kommen, und wird hineingezogen in ihre Machenschaften.

Es geht also um Familienbande und Intrigen, um despotische Väter und psychisch instabile Kinder, um geldgierige Erbschleicherinnen und untergejubelte Schwangerschaften. Wäre ja ein guter Plot, hätte Rushdie ihn wirklich ausgeführt. Aber er schiebt die Personen herum wie Pappfiguren und lässt den Ich-Erzähler/Regisseur ihre Beweggründe wie in schlechten Filmen aus dem Off kommentieren.

Zu viele andere Themen treiben ihn um, zum Beispiel die Wahl von Donald Trump. Im Roman hat er nicht wie in Wirklichkeit orange sondern grüne Haare und wird in Anlehnung an einen berühmten Film-Bösewicht „der Joker“ genannt. Man spürt das Entsetzen über diesen Präsidenten in jedem Satz, die echte Verzweiflung des wahren Humanisten, der Rushdie definitiv ist.

Ein großes Seitenthema: Geschlechter-Identitäten und die Frage, was Transgender-Debatten mit unserer Gesellschaft und mit unserer Sprache machen. Einer der Golden-Söhne ist Autist und erfindet Computerspiele, einer ist sehr attraktiv und erfolgreicher Künstler, einer hadert mit seinem Mannsein denkt über eine Geschlechtsumwandlung nach. Aber alle bleiben bloß und blass wie eine nackte Wand.

Die mythischen Elemente dürfen bei einem Rushdie-Roman natürlich nicht fehlen. Und sie fehlen nicht. Die sagenhaft schöne Vasilisa, die sich Nero Golden unter den Nagel reißt, ist in Wahrheit eine Hexe namens Baba Jaga, eine Figur aus der slawischen Mythologie.

Rushdie, der enzyklopädisch gebildete Intellektuelle, der manische Zeitungsleser, der breit interessierte Popkultur-Versteher - fast scheint es, als könne dieser blitzgescheite Autor das Assoziationsgewitter in seinem Kopf nicht in Schach halten. Griechische Mythen rasen durch das „Golden House“, Terroranschläge und Amokläufe - und natürlich Filmszenen, Filmtitel, Filmzitate. Manche Szenen beschreibt er wie Regieanweisungen, andere sind Dialoge wie in einem Drehbuch. Und wenn auch das nicht klappt, schreibt er: Wäre das hier ein Film, dann müsste jetzt...

Zum stärksten seiner vielen Themen kommt Rushdie erst kurz vor Schluss. Auf den letzten Seiten geht es um Mafia-Strukturen in Indien und Pakistan und ihre Verquickung mit dem internationalen Terrorismus. Das wäre das Buch gewesen, das wir hätten lesen wollen. Vielleicht schreibt Rushdie das als nächstes. Ich freu mich drauf. Es lohnt sich, diesem Autor die Treue zu halten.

Salman Rushdie: Golden House. Deutsch von Sabine Herting, C. Bertelsmann Verlag München, 512 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-570-10333-3