20 Years of Placebo World Tour in der Lanxess Arena Placebo feiern emotionale Geburtstagsparty in Köln
Die Indie-Rocker schenkten ihren Fans in der Kölner Arena zum 20. Bandjahr ein düsteres Mixtape und eine wilde Party.
Köln. Alte Hits sind für große Bands, die seit Jahrzehnten im Geschäft sind Fluch und Segen. Die Indie-Rocker von Placebo hatten sich eigentlich geschworen, tausendfach heruntergedudelte Songs wie „Pure Morning“ nie wieder live zu spielen. Aber: Ein Geburtstagskind gibt eben gerne einmal einen aus und zu ihrem 20. Bandgeburtstag kündigte Frontmann Brian Molko für die Welttournee eine musikalische Reise in die Vergangenheit an.
In der Kölner Arena, bei dem zweiten von vier Deutschlandauftritten, warten die Fans daher gespannt auf die größten Hits von Placebo. Doch die Gastgeber haben etwas anderes vor: In der ersten Hälfte der Show arbeiten sich die Rocker durch eine melancholische Zusammenstellung fast vergessener Stücke wie „Lady of the Flowers“ oder „Special Needs“ und schlängeln sich zunächst um die Single-Hits herum.
Ihren wohl bekanntesten Song „Every you every me“ lassen sie sogar zu Beginn nur als Musikvideo auf die gealterte Anhängerschaft los. Sänger Brian Molko und Bassist Stefan Olsdal, die beiden letzten verbliebenen offiziellen Bandmitglieder, haben ein persönlicheres Geschenk als eine Best-of-CD im Gepäck: ein sorgfältig ausgearbeitetes Mixtape.
Eigentlich eine schwere Pille, die Placebo da verabreichte, aber sie schlug doch an. Wirkstoff ist Sänger Brian Molko, der mit seiner fragilen Stimme Schmerz und Ekstase aus seinem dünnen Körper presst. Molko arbeitet das Liedgut nicht ab, er durchlebt neu. Je nach Atmosphäre der Songs tanzt der Frontmann sein Publikum verführerisch an, boxt mit seinem Spiegelbild oder sackt erschöpft in sich zusammen. Die Schauspiel-Ausbildung des androgynen Frontmanns, den seine Eltern lieber als Banker gesehen hätten, hat sich wohl ausgezahlt.
Wer so viel durch die Musik kommuniziert, kann es sich auch erlauben, fünf Songs hintereinander weg zu spielen, ohne mit dem Publikum zu reden. „Danke für die Blumen“, sagt Molko zwischendurch auf Deutsch oder kündigt noch mehr „Rock und schwul“ an.
Egal: Der Sänger hat sein Publikum im Griff. Nonverbal. Nach einem Song sehen die Fans auf der großen Leinwand Molkos fragendes Gesicht. Die Massen verstehen sofort: Der Mann will mehr. Der Applaus schraubt sich so lange nach oben, bis der Strippenzieher seine Mimik wieder entspannt und hunderte Menschen nur durch das Heben seines kleinen Fingers wieder zum Schweigen bringt.
Die Video-Performance während des Konzerts ist so vielschichtig und durchdacht wie die Placebo-Kompositionen. Mal wird der Bühne die Farbe entzogen, mal wird Molkos Gesicht zu einer psychedelischen Fratze und bei „Devil in the Details“ geht der Sänger in Flammen auf.
Dabei braucht dieser Vollblut-Künstler keine digitalen Tricks, um zu brennen. Placebo, das ist die Brian-Molko-Show. Das weiß auch der Lichttechniker. Vier der sechs Musiker, die sonst noch im Hintergrund auf der Bühne herumturnen, werden kaum angeleuchtet und wirken daher wie Kabelträger, die versehentlich ins Bild gelaufen sind. Nur Stefan Olsdal als Gründungsmitglied hat noch seinen eigenen Strahler. Er ist die Frisur der Band.
Gänsehautmoment des Abends wird der Song „Without you I’m nothing“ („Ohne dich bin ich nichts“). Einst sangen Placebo das Lied live mit David Bowie, der die jungen Burschen vor 20 Jahren auf seine Tour einlud. Heute hat der Text eine neue Bedeutung.
Nach all dem Schwermut kann die Band dann doch nicht anders. In der zweiten Hälfte greift Gitarren-Narr Molko zu seinen lautesten Monstern und lässt all die ausgelassenen Hits auf einmal auf die Fans los. Mit kompromisslosen Rocknummern wie „Special K“ oder „The bitter End“ entlässt er seine Gäste so in die Nacht, wie es einer Geburtstagsparty würdig ist: glücklich und mit einem Piepen im Ohr.