Musik aus Krefeld Songs eines „Schwarzsehers“
Krefeld · Die erste Solo-LP von Markus Maria Jansen ist ein Meisterwerk. Der Titel „Baby Beuys und die Rücksichtslosigkeit der Hasen“ – ein Rätsel
Noch ein Corona-Album? Ganz und gar nicht! Die Umstände haben zwar dazu geführt, dass Markus Maria Jansen sich allein in sein Dachapparat genanntes Studio hoch über dem Lutherplatz zurückgezogen hat, um an neuen Aufnahmen zu arbeiten. Aber wenn er auf der gerade erschienenen LP „Baby Beuys und die Rücksichtslosigkeit der Hasen“ im zentralen Stück einen „Virus“ besingt, dann geht es da nicht um Corona-Sorgen, sondern – hoch politisch – um die Kontinuität rechter Umtriebe in Deutschland; auch nach der Zeit des Nationalsozialismus.
Fast wäre er Profifußballer oder Designer geworden
Es ist sein erstes Solo-Album, man glaubt es kaum. Jansen, inzwischen 63 Jahre alt, wäre beinahe Profifußballer geworden, immerhin hat er es bis in die Regionalliga geschafft, beinahe auch Designer. Aber dann ist er doch ein Musiker geworden. 1984 gründete er mit Mike Pelzer zusammen eine der vielen deutschen Indie-Bands mit mehr Kultstatus als ökonomischem Erfolg. Eine treue Fangemeinde hat M. walking on the water trotzdem bis heute.
„Party in the cemetery“, die erste Single der M.‘s, wurde vor unfassbaren 33 Jahren veröffentlicht und gab die Richtung vor für einen Stil, den die Musiker selbst als „Short-Distance-Psycho-Folk“ bezeichneten. Mit Mainstream hatte das recht wenig zu tun, dafür aber schickte sie das Goethe-Institut als Botschafter deutscher Kultur nach Zentralasien und Afrika. Und Stars wie Herbert Grönemeyer oder Sven Regener bekannten sich als Fans. Mit seinem eigenen Projekt Jansen präsentierte Jansen seit 1998 auch erstmals deutsche Texte, die wieder nicht ins Schema passten. Verquere Gedankensprünge und literarische Stilmittel setzte Jansen so selbstverständlich ein, dass sie sich einerseits nicht aufdrängten und andererseits für eine so individuelle Aura sorgten, dass Jansen auch hier wieder mehr als haarscharf am Mainstream vorbeischrammte.
Und nun: Jansen pur, solo, nicht mehr als Bandprojekt. Alle Songs hat er selbst eingespielt, das heißt auch alle Instrumente. Das sind die gewohnt schräge E-Gitarre, aber auch E-Bass, ein Vibraphon, ein sehr rudimentäres Schlagzeug da, wo nicht ein Drumcomputer für den Groove sorgt. Und da ist diese tiefe Bassbaritonlage von Jansens Stimme, die wie alles andere für raue Unverwechselbarkeit sorgt. Wenn er dann noch via Mehrspurverfahren mit sich selbst im Chor singt, wird es erst recht abgefahren. Musikalisch ist das alles auf den Punkt genau gespielt.
Ein virtuoser Instrumentalist war Jansen nie, aber das kann er: mit seinen Mitteln äußerst effizient umgehen. Die schräge Gitarre überzeugt, mag sie sich verzerrt von Stereokanal zu Stereokanal jaulen oder im zerbrechlich gezupften Arpeggio erklingen. Der Titel „Baby Beuys und die Rücksichtslosigkeit der Hasen“ ist ein Rätsel. Man denkt ans Beuys-Jahr, das erst am 1. Januar 2021 startet, aber „Baby Beuys“? Zu Hasen hatte Beuys jedenfalls eine besondere Beziehung, und warum sind die bei Jansen rücksichtslos? Was immer hier gemeint ist, die Botschaften des Liedermachers sind düster und von melancholiefreier Klarsicht.
Song „Virus“ handelt von rechtsextremer Gesinnung
Der Zehn-Minuten-Song „Virus“ handelt von dem, was wir offenbar auch nur schlecht loswerden: rechte bis rechtsextreme Gesinnung. Das Lied beginnt mit dem Holocaust und endet mit NSU, Höcke und Konsorten. Und dazwischen gab es ja auch noch vieles mehr. Jansen erinnert etwa an den NS-Täter Rudel, der bei der Fußball-WM 1978, die in der damaligen Diktatur Argentinien stattfand, vom DFB-Boss Neuberger im Mannschaftsquartier empfangen wurde. Wer weiß das noch? Alte weiße Männer wie Jansen eben, die manchmal besser sind als ihr Ruf, vor allem wenn ihr Gedächtnis funktioniert.
Herrlich das vermeintliche, auf jeden Fall bitterböse Selbstporträt „Alles nur schwarz“, eine zynische Anti-Einladung, sich mit Jansen zu identifizieren. „Schaut in mein Hirn, alles nur schwarz“, heißt es im Refrain, spätestens dann möchte man dem schwarzsehenden Seher und Sänger zu Füßen liegen. „Wir sind so traurig und müde und brauchen das Geld“, singt Jansen im Song „Eine Milliarde“, und weiter: „Investitionen in kalten Beton, wir bauen eine neue Stadt“.
Der 63-Jährige besingt eine
Welt, die am Ende ist
Die Welt, die Jansen besingt, ist offenbar am Ende, auch wenn sie etwas Neues anfängt. Wie kann das auch anders sein, wenn die Voraussetzung lautet: „Der Ehrgeiz ist mit dem Tod liiert.“ Hier kommen die Jungen und ihre Bewegung „Fridays for Future“ nicht vor, aber man versteht, warum es deren Protest geben muss.
Muss man diese Schwarzmalerei schön finden? Jansen färbt eben nichts schön. Dass er dabei ohne moralischen Zeigefinger unprätentiös auf die Wunden zeigt, macht dieses Album über seine Sperrigkeit hinweg zum Ereignis. Jansen ist ein Meisterwerk gelungen, dem man ganz viele Zuhörer wünschen möchte, wäre da nicht die kleine Auflagenhöhe von insgesamt 333 Stück. Glücklich sollte sich schätzen, wer sich ein Exemplar dieses Solitärs sichern kann.