Kritik Packender Roman als flaches Theater
DÜSSELDORF · Dana Vowinckels Erfolgs-Opus „Das Gewässer im Ziplock“ im Düsseldorfer Schauspielhaus
Margarita ist 15, als sie das erste Mal die Sommerferien bei ihren Großeltern in Chicago verbringen soll. Das wünscht und organisiert ihr Vater Avi – Kantor der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Die pubertierend wankelmütige Margarita liebt die beiden schrulligen Alten zwar, langweilt sich aber schnell. So ist sie froh, dass sie unerwartet eine Einladung ihrer Mutter Marsha nach Jerusalem bekommt. Und kurzer Hand im Flugzeug von Chicago nach Tel Aviv sitzt, in dem sie in den hübschen Lori verknallt. Klar, er sitzt neben ihr.
Die Konstellation könnte aus einem Roadmovie stammen, ist aber exakt die Situation in „Gewässer im Ziplock“ – dem Debüt-Roman von Dana Vowinckel. Einer Berliner Jungautorin (Jahrgang 1996), die dafür mit einigen Preisen dekoriert wurde. Die Dramatisierung dieses Romans ist jetzt - unter gleichem Titel - im Düsseldorfer Schauspielhaus herausgekommen.
Trotz zupackend aufspielender Darsteller – allen voran der fabelhaften Filmschauspielerin Caroline Cousin als verstört mäanderndes ‚Pubertier‘ – eignet sich die pausenlose flockige 120-Minuten-Inszenierung von Bernadette Sonnenbichler allerdings weniger für einen großen Bühnen-Abend mit nachhaltigem Tiefgang. Ganz schön zu sehen sind zwar die Sanddünen hier und dort, oder die in der Luft hängenden Requisiten. Sie schweben wie ein Damokles-Schwert über den Protagonisten (Bühne: David Hohmann). Die Figuren springen (fliegen) zwischen den Kontinenten hin und her - Deutschland, USA und Israel. Die Zeit: zwischen Ende Juli und Mitte und Ende September 2023. Die Daten werden eingeblendet. So erinnert das Stickmuster (Bühnenfassung: David Benjamin Brückel) mit einer Handlung an parallelen Orten eher an eine Mini-Serie bei Netflix. Ebenso die Art der aufgeregt plappernden, unberechenbar eruptiven Margarita.
Klischees über ‚jüdisches Leben‘ überall: In Berlin Vater Avi (Jaron Löwnberg, der auch das Roman-Hörbuch gesprochen hat): mit Kippa und Tora in den Händen betet er singend eine trockene Selbstironie. In Chicago der leicht verworrene, tüdelige Großpapa und die gutmütige, sich ängstigende Großmama; in Jerusalem dann die aufgekratzte Marsha als hyperaktive Karrierefrau auf dem Sprung zum nächsten Topjob in New York. Nach 13 Jahren sieht Marsha ihre Tochter wieder, plant eine Beach-Reise mit ihr nach Eilat, ans Rote Meer. Sie (Cathleen Baumann) will alles richtig machen, rennt nervös umher und flippt nach allen Regeln von Vorabend-Serien aus, als Margarita plötzlich Reißaus nimmt. Wohin? Zu ihrem Lover.
Bei Marsha ahnt man vieles von unverarbeiteten Verletzungen der vergangenen Jahre. Man erfährt, dass sie nicht einfach Avi und die Tochter in Berlin hat sitzen lassen und nicht nur einem Luxusleben frönt. Vielmehr war sie an ihrem Familienleben mit Avi in Berlin verzweifelt. So packend Vowinckels Roman auch zu lesen sein mag, so wenig gehen die filmähnlichen Shortcuts auf der Bühne – zwischen den Wohnungen der verstreuten Familie - unter die Haut. Selbst dann nicht, wenn die Großmutter auf der Intensivstation landet.
Ob sich dieser Roman, der zwei Wochen vor dem mörderischen Überfall der Hamas auf Israel endet, jetzt für die Bühne eignet, sei dahingestellt. Am Premieren-Tag, an dem israelische Geiseln befreit wurden, stellen sich andere Fragen. Von Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit. Für Israelis und Palästinenser. Nur wenige Sätze fallen dazu – aus dem Munde des jungen Lori (überzeugend: Abdul Aziz Al Khayat), an dem Margarita wie eine Klette hängt. Er marschiert mit bei Demonstrationen gegen die Regierung, schultert aber das Gewehr – als Soldat für Israel. Und ist gleichzeitig davon fest überzeugt, dass Palästinenser dieselben Rechte haben wie Israelis. Der einzige Moment, an dem das Publikum innehält.