Meinung Coronavirus: Die nächste Krise kommt bestimmt - Warum Reformen im Gesundheitswesen nötig sind

Meinung · Mit dem Dank der Kanzlerin an das medizinisches Personal, mit dem Applaus der Bürger kann und darf es nicht getan sein. Es ist jetzt die Zeit, über Reformen im Gesundheitswesen nachzudenken.

Leere Betten machen keinen Umsatz. Deshalb werden sie auch nicht vorgehalten, deshalb ist es so schwierig zu erfahren, wie viele Betten denn nun tatsächlich für Coronapatienten zur Verfügung stehen.

Foto: dpa/Bernd Wüstneck

Aller Voraussicht nach ist Deutschland auf absehbare Zeit weitgehend abgeschaltet. Im Kampf gegen Covid-19 ruht das öffentliche Leben. Allein in Krankenhäusern herrscht rund um die Uhr Hochbetrieb. Es ist deshalb nur recht und billig, dass Kanzlerin Angela Merkel sich in ihrer bemerkenswerten Rede an die Nation beim medizinischen Personal für dessen unermüdlichen Einsatz bedankt. Es ist aus diesem Grund eine längst überfällige Geste der Dankbarkeit, dass Menschen den Krankenschwestern, Krankenpflegern, Ärztinnen und Ärzten regelmäßig applaudieren.

Aber mit dem Dank der Kanzlerin, mit dem Applaus der Bürger kann und darf es nicht getan sein. Wenn in Verwaltungen, Behörden und Ministerien die Arbeit weitgehend auf null gefahren wird, entsteht die  Chance, dass nach einer Phase des Beobachtens und des Nachdenkens die Erkenntnis wächst, dass es nach der laut Merkel schwersten Krise seit dem Zwieiten Weltkrieg im deutschen Gesundheitswesen nicht weiter gehen kann wie vor dieser Krise.

Ein Kommentar von Lothar Leuschen.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Wenn sich das Personal in den Krankenhäusern auch noch so sehr bemüht, an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit geht, ist nicht zu übersehen, dass es Lücken im System gibt. Es fehlt an Personal, es fehlt an Material, es fehlt an Notbetten, um die Menschen akut versorgen zu können, die gegen das Coronavirus um ihr Leben kämpfen. Ärzte und Krankenschwestern sind jetzt schon gefordet, mit zehn Fingern einen Wassereimer zu schließen, aus dem es aus elf Löchern tropft.

Minister, Staatssekretäre und Ministerialbeamte können dagegen kurzfristig nichts tun. Langfristig schon. Es ist jetzt die Zeit, über Reformen im Gesundheitswesen nachzudenken. Das System in Deutschland funktioniert grundsätzlich. Dennoch ist gut nicht gut genug, weil auf dem Wege der Kostenoptimierung ein paar Schritte zu weit gegangen worden ist. Dass es in Krankenhäusern in diesen Tagen zu wenige Notbetten gibt, dürfte damit zu tun haben, dass Notbetten keinen Umsatz erzeugen, sie sind ja für Notfälle vorgesehen.

Wenn diese Fälle nicht eintreten, können Krankenhausbetreiber auch nichts einnehmen. Leere Betten machen keinen Umsatz. Deshalb werden sie auch nicht vorgehalten, deshalb ist es so schwierig zu erfahren, wie viele Betten denn nun tatsächlich für Coronapatienten zur Verfügung stehen.

Transparenz herrscht dagegen in Personalfragen. Seit Jahr und Tag führen Klinikbetreiber und Pflegedienste Klage darüber, dass junge Leute den Weg in Pflegeberufe nicht finden. Dabei liegen die Ursachen dafür auf der Hand: zu viel Arbeit bei zu schlechter Bezahlung.

Das Lob von Angela Merkel ist redlich verdienter Balsam auf die Wunden des medizinischen Personals in einem äußerst kostenoptimierten System. Wirken kann der Balsam aber nur, wenn den warmen Worten spätestens nach der Krise dauerhaft auch geldwerte Taten folgen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach Covid-19 irgendwann einmal Covid-20 kommt. Dann sollte ein Staat wie Deutschland erheblich besser vorbereitet sein.