Das Ende des Atomzeitalters
Angela Merkels Kehrtwende ist mehr als ein taktisches Manöver
Es ist eine alte politische Weisheit, die in verfahrenen Situationen Zeitgewinn verspricht: Wenn Du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis.
Angela Merkel beauftragt gleich zwei Arbeitskreise, die dabei helfen sollen, ihre Atompolitik neu auszurichten. Dabei darf sie sich des Argwohns vieler Deutscher gewiss sein.
Wer noch vor Monaten einen Kniefall vor den Konzernen machte, so der Verdacht, der wird angesichts der verstörenden Fernsehbilder aus Japan nun lediglich ein taktisches Manöver einleiten. Der wird tricksen, um den größten anzunehmenden Unfall bei den Landtagswahlen zu verhindern. Doch tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass es die Kanzlerin mit ihrem versprochenen Tabubruch ernst meint.
Eine Ethik-Kommission zur Zukunft der Atomenergie — einen solchen Vorschlag hätten Union und FDP noch vor zwei Wochen als grünes Hirngespinst abgetan. Schon bald wird sich der Rat der Weisen unüberhörbar in die Debatte einschalten. Und die Mehrheit in diesem Gremium wird die Atomkraft dann als Hochrisiko-Technologie einstufen, die es schnellstmöglich zu überwinden gilt.
Zwar entscheidet noch immer die Bundesregierung und nicht der Rat der Weisen über die Meiler-Laufzeiten. Aber mit Persönlichkeiten wie dem ehemaligen Umweltminister Klaus Töpfer, dem Risikoforscher Ulrich Beck und dem EKD-Vorsitzenden Nikolaus Schneider erhält die Skepsis der Deutschen jetzt einen intellektuellen Resonanzboden. Keine Partei wird diese Stimmen ignorieren können.
Mehr noch als der Rat der Weisen könnte die Kommission für Reaktorsicherheit eine Energiewende beschleunigen. Deren Prüfkriterien schocken die Atomindustrie, weil sie wenig Zweifel lassen: Offenbar genügen die meisten Kernkraftwerke nicht den strengen Vorgaben des Gremiums und müssen nach dem Moratorium wohl für immer vom Netz.
Durch den Schock von Fuku-shima ist die nüchterne Physikerin Angela Merkel zur Erkenntnis gelangt, dass am Ende das nukleare Restrisiko über die Wahrscheinlichkeitsrechnung siegt. Deshalb wird — Ironie der Geschichte — nicht ein rot-grünes Bündnis den Ausstieg aus der Atomkraft einleiten, sondern eine schwarz-gelbe Koalition.