Vom Nutzen der „German Angst“
Japans Katastrophe muss zur globalen Zäsur werden.
Nach Japans Atom-Katastrophe steht die Welt unter Schock. Dabei reagieren die einzelnen Nationen mit gegensätzlichen Reflexen, was viel über deren Mentalitäten aussagt. Zunächst einmal das erschütterte Land selbst: Nein, nicht die traditionelle fernöstliche Disziplin und Gelassenheit erklären, warum die Japaner im Angesicht der apokalyptischen Vorgänge die Ruhe bewahren.
Eher scheint es eine Art Trance zu sein, das Gefühl, Teil eines Albtraums zu sein, aus dem man irgendwann einfach wieder erwacht und feststellt, dass nichts passiert ist. Für Japaner ist der Sieg des atomaren Restrisikos über die Wahrscheinlichkeitsrechnung deshalb so irreal, weil ihre High-Tech-Gesellschaft wie kein anderes Land an die Beherrschbarkeit der Kernenergie geglaubt hatte.
Ganz anders Deutschland. Reflexartig formierte sich die Anti-Atomkraftbewegung zu einer gewaltigen Widerstandsfront. Den Deutschen erscheinen die Schreckensbilder aus Japan nicht als surrealer Horror, sondern als zwangsläufige Konsequenz eines fatalen Irrwegs. Japans Atomkatastrophe steigert die „German Angst“ ins Unermessliche, und der Gedanke an mögliche politische Kettenreaktionen bei den anstehenden Landtagswahlen lässt das schwarz-gelbe Regierungsbündnis erschaudern. Wenn die Bundeskanzlerin nun die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke aussetzt, ist dies die Notabschaltung ihrer eigenen Atompolitik. Angela Merkel weiß nur zu gut: Wenn sie die Angst des Souveräns vor der Kernkraft jetzt ignoriert, wird ihre Bundesregierung in Rekordzeit untergehen.
So sehr auch Hysterie und Angst schlechte Berater sind: Die Katastrophen von Tschernobyl und Japan haben gezeigt, dass die skeptischen Deutschen die Gefahren dieser Technologie präziser erfassen als die atomgläubigen Nationen Frankreich, Japan und China.
Allerdings wirkt eine deutsche Debatte über die Verkürzung von Reaktor-Laufzeiten fast schon hilflos gegenüber der Ankündigung Chinas, im großen Stil neue Atomkraftwerke zu bauen. Die Bundesregierung muss deshalb auf internationaler Bühne darauf drängen, dass die Katastrophe von Japan zur Zäsur wird — nicht nur für Deutschland, sondern auch für die internationale Staatengemeinschaft.