Meinung Die USA dürfen nicht länger Führung des Westens sein
Wer bisher glaubte, nach jeder noch verrückteren Wendung des US-Präsidenten eine noch empörtere Bewertung formulieren zu müssen, kann nach dem G7-Eklat vom Wochenende nur kapitulieren: In der nach oben offenen Irrsinns-Skala ist Trump derzeit unschlagbar.
Damit der Westen am Ende aber nicht in Gänze vor Trumps affektgetriebenem Furor kapituliert, muss er sich noch schneller neu sortieren als bisher gedacht — in dreierlei Hinsicht.
Erstens: Die bisher immer noch verbreitete Hoffnung, Trump lasse sich durch geschickte Diplomatie auf irgendeine Weise doch noch einbinden, verkennt, wie sehr der 71-Jährige die vollkommene Unberechenbarkeit zur Methode erhoben hat. Ob das auf narzisstischem oder nationalistischem Größenwahn beruht, ist dabei zweitrangig. Diese USA können und dürfen nicht länger als Führungsmacht des Westens angesehen werden. Die Kunst für Europa und seine verbleibenden Verbündeten in der westlichen Welt wird darin bestehen, weder die Verbindungen zum „anderen Amerika“ abzubrechen noch sich Russland oder China anzubiedern, sondern unter enormem Zeitdruck zu einem eigenen Selbstbewusstsein zu finden.
Dazu gehört zweitens, sich von dem Reflex zu verabschieden, auf jede Attacke Trumps zeitverzögert mit Selbstzweifeln zu reagieren. Vereinte Nationen? Okay, ist womöglich ein überholtes Nachkriegsmodell. Strafzölle? Na ja, irgendwie hat er ja recht mit dem Handelsüberschuss. G7? Gut, gibt vielleicht nicht mehr die wirklichen Machtverhältnisse wieder. Trump ist nicht an Reformen interessiert, sondern an der Zerstörung der bisherigen Weltordnung. Die westliche Wertegemeinschaft mag an vielen Stellen Erneuerungsbedarf haben. Sich aber Tempo und Stoßrichtung von einem politischen Amokläufer diktieren zu lassen, verstärkt die Entfremdung von Werten, die gerade jetzt nicht zum alten Eisen gehören.
Schließlich: Die Wirkung des Widerspruchs und Widerstands gegen Trumps Zerstörungswut wächst mit der Einigkeit. Einigkeit im Westen und in Europa — selten so gelacht? Der Eklat von Kanada erhöht den Druck auf die Vernunftbegabten unter den Regierenden. Schockstarre verbietet sich. Es ist nicht nur ihre Chance, auf den weltpolitischen Hurrikan aus den USA mit internationaler Solidarität und dem Bekenntnis zur Zusammenarbeit zu reagieren. Es ist ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit.