Meinung Doping: Warum die Strafe für Russland noch zu lasch ist
Meinung · Das neue Urteil der Wada gegen Russland mag zwar hart klingen, ist aber noch viel zu lasch angesichts der Unverfrorenheit, mit dem die russische Seite auf konkrete Vorhaltungen reagiert hat.
Der Radsportler Jan Ullrich hat sich für die Zeit seines Lebens eine juristisch wenig anfechtbare Haltung zu vermeintlichen Doping-Sünden aus seiner Vergangenheit zu eigen gemacht, mit der er sich auch moralisch seither mal besser, mal schlechter durchs Leben hangelt: Er habe, sagte Ullrich immer wieder, auf seine eigenen Dopingsünden hin befragt, in seiner „ganzen Karriere niemanden betrogen und auch keinen geschädigt“. Experten sehen darin ein Eingeständnis für eine Radsport- Zeit, in der jeder andere auch gedopt hat – und die eigene Wahrnehmung von Betrug mit einer juristischen Bewertung nur noch wenig zu tun hat. Erwiesenermaßen ist Ullrich in einem monströsen Doping-Zeitalter auf dem Rad gefahren. Unter den Fahrern galt der Betrug als Normalzustand: Wohl so viele haben mitgemacht, dass man – derart aufgeputscht – nichts anderes als Chancengleichheit auf höherem Niveau hergestellt hat.
Ähnlich wie Ullrich reagiert Russland auf den erneuten Bann durch die Welt-Anti-Dopingagentur (Wada): Politische Verschwörungstheorien bündeln sich mit der Ansicht, dass die Wada zwar Russland, aber nie andere Staaten derart rigide verfolge, deren Beispiele, so heißt es in Moskau, man kenne. Soll heißen: Wir dopen, ja, aber andere doch auch! Was für eine lächerliche und fatale Argumentation, die Russlands Premierminister Dmitri Medwedew schon vor dem Urteil verkündet hat. Jetzt sprach er von „antirussischer Hysterie“.
Das neue Urteil mag zwar hart klingen, ist aber noch viel zu lasch angesichts der Unverfrorenheit, mit dem die russische Seite auf konkrete Vorhaltungen im damaligen McLaren-Report, in dem das russische Staatsdoping detailliert nachgewiesen worden war, reagiert hat: gefälschte Unterlagen, gefälschte Daten, Vertuschung und skrupelloser Betrug im Angesicht der ganz konkreten Vorwürfe. Alles nachgewiesen dank des Abgleichs mit den Daten eines Whistleblowers.
Und so ergibt sich das Bild einer völlig schuldunbewussten Sportnation, der wieder Türen geöffnet werden, die eigentlich verschlossen bleiben müssten. Denn die Wahrnehmung von dann bald erneut neutral startenden russischen Sportlern unter anderer Fahne bleibt bei allem Bemühen doch verbunden mit ihrer russischen Heimat. Viel ist nicht gewonnen, wenn russische Sportler, denen ein Vergehen nicht nachgewiesen werden konnte, durchaus an Olympischen und Paralympischen Spielen teilnehmen. Das hat die Vergangenheit gezeigt: Der russische Sport, gelenkt von Moskau, schaffte es trotzdem, seine Helden zu instrumentalisieren. Und so das Zeichen zu senden: Ihr werdet uns nicht kleinkriegen. Was für ein andauerndes Dilemma.