Meinung Geliebte Traumfabrik
Wer fürs Fremdschämen empfänglich ist, wird bei der Szene gekrümmt im heimischen Sofa versunken sein. Aber in Wirklichkeit hat Hollywood mit der unfassbaren Panne bei der Verleihung ausgerechnet der wichtigsten Oscar-Trophäe an seinem Mythos weitergeschrieben.
Es ist ein Mythos, zu dem der Glamour genauso gehört wie die Kläglichkeit und der schon immer groß darin war, Stilsicherheit und Peinlichkeit Hand in Hand über den roten Teppich zu schicken.
Wer hätte beim Blick in die Sitzreihen der Oscar-Verleihung nicht schon mal den Schock der Desillusionierung erlebt? Da hockt der gerade noch dreckige und verschwitzte Held des jüngsten Kinoabenteuers plötzlich gelackt und gestriegelt wie ein Collegebub bei der Zeugnisvergabe. Und die so souveräne Leinwand-Grazie plappert ohne Drehbuchautor nur fürchterlich belanglose Danksagungen ins Mikrofon.
Wer ist authentisch und wer möchte nur so wirken? Welche Demutsgeste ist empfunden und welche bloß aufgesetzte Attitüde, um den eigenen Größenwahn zu kaschieren? Nicht zuletzt: Wer hat ein Gespür dafür, welche Kleidung zu ihm passt, und wer wird an dieser Frage ein Leben lang scheitern?
Die historische Panne der Oscar-Nacht gibt uns die beruhigende Gewissheit, dass das Perfekte nicht nur in unserem eigenen Leben selten gelingt. Aber die eigentliche Faszination der Oscar-Nächte bleibt, dass diese Versammlung der Eitlen und Unsicheren, der Hochgejubelten und Abgehalfterten, diese ganze wahnsinnige Belegschaft der Traumfabrik uns immer wieder so großartige Kinomomente beschert.
Und es bleibt die Faszination der diesjährigen Verleihung, dass am Ende der Peinlichkeit schon wieder der nächste Mythos steht: von der Low-Budget-Produktion „Moonlight“, die in letzter Sekunde dem Mega-Favoriten „La La Land“ doch noch die Show stiehlt. Dafür kann man Hollywood nur lieben.