Google Street View: Wenn die Welt im Netz aufgeht

Als im 19. Jahrhundert die ersten Eisenbahnen mit Getöse und Dampf durchs Land schmauchten, flohen viele Bauern panisch von ihren Feldern. Und in der Wissenschaft hob eine Debatte darüber an, ob der menschliche Körper einem Tempo von 50 Stundenkilometern auf Dauer gewachsen sei.

Es ist wahrscheinlich, dass die Deutschen in zehn Jahren ähnlich amüsiert über ihre eigene Street-View-Phobie des Jahres 2010 denken. Tatsächlich schlägt Google mit seinem Dienst ein neues Kapitel des digitalen Zeitalters auf, das zunächst einmal ungeheuerlich wirkt. Erstmals greift das Netz umfassend auf unsere Umwelt zu und verleibt sie sich ein. Die Grenzen zwischen dem Lebensraum der Menschen und der virtuellen Welt verschwimmen. Dies mag heute noch ein Tabubruch sein, morgen wird das - mit oder ohne Google - zur Normalität gehören.

Dennoch: Die Erfassung der Welt darf nicht grenzenlos sein. Die Grenze verläuft an der Schnittstelle öffentlicher Raum/Privatsphäre. Google fährt mit seinen Kamerafahrzeugen auf diesem schmalen Grat entlang und macht sich dann angreifbar, wenn der Balanceakt missglückt.

Straßen, Plätze und Gebäude gehören zum öffentlichen Raum, der jedem zugänglich ist und von jedem fotografiert werden darf. Niemand entdeckt am Bildschirm mehr, als er auch bei einer Autofahrt entdecken würde. Insofern bietet Google für Kriminelle keinen Mehrwert.

Problematisch allerdings wird es, wenn das digitale Auge durch Fenster in Wohnungen blickt, wenn fotografierte Personen und Autokennzeichen im Netz erkennbar bleiben. Verdammenswert also ist nicht das Prinzip Street View, bedenklich aber sind die handwerklichen Fehler des Datenkonzerns. Wenn Bürger nun Nachbesserungen einfordern, ist dies nur verständlich.

Der typisch deutsche Wunsch jedoch, sich der virtuellen Welt zu verschließen, läuft ins Leere. Das digitale Zeitalter wird weltweit seinen Siegeszug fortsetzen. Die großen Risiken dieser Entwicklung entstehen nicht durch Google Street View, sondern durch Verlockungen, in Kommunikationsforen intime Informationen preiszugeben. Die digitale Gesellschaft braucht zum besseren Datenschutz keine Verbote, sondern einen Bewusstseinswandel ihrer Mitglieder.