Meinung Harmonie à la Kohl reicht für Europa nicht mehr

Für Helmut Kohl ist es das Wichtigste überhaupt, dass die Grenzen in Europa gefallen sind. Daran hat er entscheidend mitgewirkt. Für ihn ist die EU die zentrale Lehre aus den vielen Kriegen und die Garantin, dass der Kontinent eine friedliche Zukunft hat.

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Diesen weiten Blick hat der Kanzler der Einheit, der Ehrenbürgers Europas. Jeder, der Verantwortung trägt, sollte versuchen, ihn immer wieder zu teilen. Aber...

Aber was Helmut Kohl nicht sagt in seinem Vorwort für die ungarische Ausgabe seines Buches, und was er auch seinem Freund Viktor Orban nicht sagt, den er am Dienstag so demonstrativ in Oggersheim getroffen hat, ist, dass all dies am Ende nicht zählt, wenn der innere Zustand der Mitgliedsstaaten der EU nicht stimmt. Ohne einen gemeinsamen Begriff von Toleranz, Humanität, Rechtsstaat und innerer Stabilität hat Europa als Gemeinschaftsprojekt keine Zukunft, sondern läuft beim nächstbesten Konflikt wieder genauso auseinander wie jetzt in der Flüchtlingskrise. Dann ist es bestenfalls eine Wirtschaftsgemeinschaft, EWG. Und eine Versorgungskasse für die ärmeren Mitglieder.

Das heißt nicht, dass es überall Multikulti à la Deutschland, Laissez-faire à la Holland und Sozialstaat à la Schweden geben muss. Jedes Land hat seine Besonderheiten. Aber wenn in einigen Ländern zwielichtige Gestalten ganz legal in den Wäldern auf Flüchtlingsjagd gehen dürfen, wenn Fremde prinzipiell abgelehnt und Roma unterdrückt werden, wenn Homophobie um sich greift und Medien oder Verfassungsgerichte unter staatliche Kontrolle gebracht werden, dann stimmt fundamental etwas nicht. Man könnte, um nicht nur über den Osten zu reden, auch die Differenzen in den Grundauffassungen über einen geordneten Staatshaushalt mit den Südeuropäern nennen, oder die über eine solide und ehrliche Finanzwirtschaft mit den Briten.

Helmut Kohl warnt vor Alleingängen. Im Grunde meint er damit Angela Merkel, die sowohl bei der Euro-Rettung als auch in der Flüchtlingsfrage (vor allem gegen Orban) Führungskraft bewiesen hat, weil es eine einheitliche Haltung nicht gab, schon gar nicht eine einheitlich humane. Er fällt ihr in den Rücken, Doch nicht nur das. Er ignoriert das Kernproblem: Vordringlich ist derzeit die offene Auseinandersetzung um Werte und Ziele Europas. Mit den Ungarn und Polen, mit den Briten, auch mit den rechten Bewegungen in vielen Ländern. Helmut Kohl ist schon zufrieden, wenn Europa sich nicht streitet. So hat er es immer gehalten, so hat er schon den Euro gestaltet. Möglichst harmonisch, schon damals ohne Nennung der Probleme. Das wird für die Zukunft nicht mehr reichen.