Analyse Was Angela Merkel und Jogi Löw gemeinsam haben

Es gibt eine geheimnisvolle Interaktion von Fußball und Politik. Forscher haben dies längst herausgefunden. Nicht nur Merkel und Löw (und ihre Karrieren) weisen Parallelen auf - sondern auch ihre Vorgänger.

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Berlin. Erst WM, dann Krise: Vor der Nachtsitzung der Unionsführung zum Asylstreit versammelte Kanzlerin Angela Merkel ihre CDU-Parteifreunde zunächst einmal zum Fußballgucken. CSU hin, Seehofer her: Die schaurige Niederlage der Nationalmannschaft am Sonntagabend gegen Mexiko dürfte freilich auch der Kanzlerin nicht geschmeckt haben. Erstens, weil sie bekennender Fan ist. Zweitens, weil womöglich „Jogis“ Abstieg auch mit „Angies“ Abstieg einhergeht — und umgekehrt.
Viele denken schon so. Beide Karrieren weisen Parallelen auf.

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Joachim Löws Aufstieg zum „Jogi“ der Nation begann mit der WM 2006 in Deutschland, als er Co-Trainer von Jürgen Klinsmann war und die Kicker mit ihrer frischen Vorstellung für ein neues, entspanntes Nationalgefühl sorgten. 2005, ein halbes Jahr zuvor war Merkel Kanzlerin geworden. Den Schwung der DFB-Elf nahm sie gerne auf der Tribüne jubelnd mit. Es herrschte blendende Laune auf dem Platz und in der Politik. Merkel avancierte zur „Mutti“ der Nation.

Seitdem verbindet die CDU-Chefin eine enge Beziehung mit dem Chefcoach, die beide Machtmenschen sind, das nicht offensiv zeigen, es aber leben: Besuche im Trainingslager vor wichtigen Turnieren sind Pflicht, Abendessen mit Löw - dann gibt es Cordon bleu mit Pommes oder Bratkartoffeln - und der Nationalelf sind Kür. „Die Mannschaft und ich, wir freuen uns jedes Mal, sie zu sehen“, sagte kürzlich der Bundestrainer. Und Merkel weiß: Bilder mit der Kicker-Eilte kommen meist gut an. Das wusste schon der vor einem Jahr verstorbene Ex-Kanzler Helmut Kohl, als er einst vom berühmten Urlaubsdomizil am Wolfgangsee nach Italien eilte, um Franz Beckenbauers Weltmeister-Kombo am Comer See zu begeistern — oder auch sich selbst an den geschossenen Fotos.

Aber nicht nur ihre beiden Karrieren verliefen vergleichbar, auch charakterlich scheinen sich Merkel und Löw zu ähneln: Hier die „schwäbische Hausfrau“, wie sie sich mal in einer Rede zur deutschen Sparpolitik bezeichnete, dort der Mann aus dem Schwarzwald, beide bodenständig und unprätentiös, ohne große Allüren. Keiner von beiden mag es, wenn man privat über Gebühr beobachtet wird. „Manchmal möchte ich aus dem Fenster springen“, sagte Löw unlängst dem „Kurier“ mit dem Beispiel, wenn Fans im Zug ein Lied über ihn anstimmten, sobald sie ihn entdeckt hätten.
Markant: Merkel wie Löw manifestierten ihre Position durch harte Personalentscheidungen, gelten darüber hinaus als Moderierende, die eine im Kabinett, der andere in der Kabine. Beide agieren mit der Politik der ruhigen Hand, die großen inhaltlichen Schnitte wird es mit ihnen aber nicht geben, auch wenn die halbe Nation das fordern mag.

Wie jetzt: Löw soll Taktik und Personal ändern nach der Auftaktniederlage gegen Maxiko, Merkel ihr europäisches Augenmerk in der Flüchtlingspolitik verlieren und den nationalen Alleingang ausrufen. Kaum zu glauben, dass einer der beiden umfallen könnte das zu ändern, was sie einmal stark gemacht hat. Das liegt auch daran, dass beide sich seit Jahren mit einem engen Kreis von Vertrauten umgeben. Ratschläge von außen werden seit Jahren nur widerwillig befolgt. Das funktioniert, bis es zum Trott wird.

So wie Merkel und Löw entsprachen sich komischerweise auch ihre Vorgänger im Amt. Als Gerhard Schröder Bundeskanzler war, hieß der Teamchef Rudi Völler. Beide waren impulsiv, hauten gerne mal mit der Faust auf den Tisch, „Acker“ hier, „Tante Käthe“ dort. Durchaus volksnah, auch mal zornig. Vor Schröder hieß der Kanzler Helmut Kohl — und nach Beckenbauer war Berti Vogts eine Zeitlang der Chef auf dem Fußball-Platz der Deutschen. Der Fußball, den Vogts spielen ließ, war so wie die Politik des Pfälzers: defensiv und unkreativ, Abschlussschwäche auf beiden Seiten. 1998 verloren Kohl und Vogts dann im gleichen Jahr ihre Ämter. Kohl musste an den Niedersachsen Schröder abgeben, Vogts nach dem Aus bei der WM in Frankreich an den Wuppertaler Erich Ribbeck.

(Ein Archivbild von 1988: Bundeskanzler Helmut Kohl begrüßt bei seiner Ankunft im Pressezentrum in Nizza Fußball-Nationalspieler Thomas Helmer (r) und Bundestrainer Berti Vogts (M). Foto: dpa)

Anders übrigens 1990: Da wurde Deutschland mit „Kaiser“ Beckenbauer als Teamchef wieder Fußball-Weltmeister und Helmut Kohl vollzog die historische Wiedervereinigung. Beides passte hervorragend zusammen. Deutschland, heillose Euphorie.

Es gibt, so haben Forscher herausgefunden, tatsächlich ein Zusammenspiel von Fußball und Politik, eine fast geheimnisvolle Interaktion. Zum Beispiel, dass der Zeitgeist beide Sphären prägt - Reform-Elan passt zum offensiven Spiel, Reformstau zum Rumpelfußball. Oder auch der Zusammenhang, dass Siege in wichtigen Spielen den zu jener Zeit amtierenden Kanzler in der Wählergunst steigen lassen.

Bei Merkel und Löw sieht es diesbezüglich derzeit folgendermaßen aus: Jogis Team wirft man eine zu große Selbstzufriedenheit vor, Merkel hingegen, dass sie kraftlos geworden ist. Die Kanzlerin muss um ihr Amt bangen, weil die CSU die Revolution unter Geschwistern gegen sie angezettelt hat. Zugleich droht dem Bundestrainer in der Vorrunde vor dem Spiel am Samstag in Schweden das WM-Aus. Beide könnten dann fast zeitglich in die Bedrängnis kommen, ihr Amt abgeben zu müssen. So, wie beide fast zeitgleich begonnen haben.

Aber es kann auch anders kommen: Merkel gewinnt gegen die CSU und Löw mit seinem Team gegen Schweden. Vielleicht gibt es dann sogar noch ein Treffen der beiden in Russland. Denn das haben große Philosophen auch herausgefunden: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.