Hirtenbrief - Erzbischof Woelki leitet Abkehr von der Volkskirche ein
Der Kardinal kündigt zur Fastenzeit nächsten Sparkurs an
Rhetorisch ist der Fastenhirtenbrief von Rainer Maria Kardinal Woelki ein Meisterwerk: Der Kölner Erzbischof kündigt den Katholiken des reichsten Bistums Deutschlands (aktuelles Vermögen: 3,35 Milliarden Euro) pünktlich zur Fastenzeit einen neuerlichen regiden Sparkurs an, ohne ihn so zu nennen. „Gemeindliche und kirchliche Erneuerung ist insofern kein administrativer Vorgang, sondern ein geistlicher Weg“, heißt das in den Worten des Bischofs von rund zwei Millionen Katholiken. Was damit gemeint ist, dürften die Gemeindemitglieder in den 528 Pfarreien der verbliebenen 180 Seelsorgebereiche bald zu spüren bekommen.
Denn Kardinal Woelki hat mit seinem Hirtenbrief im Erzbistum Köln nicht weniger als die endgültige Abkehr vom Konzept der Volkskirche eingeleitet. So überraschend sich das am Sonntag für viele Katholiken angehört haben mag — eine Revolution ist das nicht. Der katholische Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul Zulehner fordert seit Jahren von den Kirchenfürsten, die Idee der Volkskirche aufzugeben und eine zeitgemäße Vision von Kirche zu entwickeln statt sich an alte Strukturen zu klammern und eine Verzweiflungs-Reform nach der nächsten durch die Gemeinden zu jagen. Oder wie Kardinal Woelki es sehr viel eleganter formuliert: „Es darf uns doch nicht nur um die 7 bis 12 Prozent derer gehen, die sonntags die Heilige Messe mitfeiern oder gar nur um die in der Regel noch kleinere Gruppe der sogenannten Kerngemeinde.“
Damit greift der Kölner Erzbischof die keineswegs neue Kritik auf, die in der katholischen Kirche schon seit Jahrzehnten anhand des Gleichnisses vom verlorenen Schaf vorgetragen wird. Nämlich dass die Kirche als Hirte sich so intensiv um das eine verirrte Schaf gekümmert habe, dass ihr die 99 anderen längst davongelaufen seien. Woelki will nun ausdrücklich „auch die anderen 85 bis 90 Prozent im Blick“ behalten, die mit der bisherigen Gemeinde-Organisation nicht mehr zu erreichen sind. Das dürfte den rund 60 000 hauptamtlich Beschäftigten und 200 000 ehrenamtlich engagierten Katholiken im Bistum nur bedingt gefallen, stehen doch ihre Strukturen jetzt zur Diskussion. Kardinal Woelki hat eine spannende Mission vor sich.